Deutsch-französisches Theaterfestival Primeurs mit Parloir eröffnet
Ein großes Theaterstück wird glänzend in Szene gesetzt
Eindrucksvoller Start des deutsch-französischen Theaterfestivals Primeurs mit Tiefgang im ausverkauften großen Saal des Carreau in Forbach. Delphine Hecquet hat das ergreifende Familiendrama und um Liebe und Gewalt in einer Ehe geschrieben, die sich als Mésalliance erwies und katastrophisch endete. Das Stück stützt sich auf einen realen Strafrechtsfall aus jüngerer Zeit, in dem eine Frau zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil sie ihren Ehemann erstochen hat. Zur Vorbereitung ihres Werkes hat die Autorin akribische Nachforschungen angestellt und eine Untersuchungsrichterin mehrfach konsultiert, wie sie in der Diskussion nach der Vorstellung erläuterte.
Delphine Hecquet hat den Stoff in einem packendem, bisweilen atemberaubenden Dialog zwischen Mutter Elisabeth (Marie Bunel) und Tochter Constance (Mathilde Viseux) verdichtet. Die beiden Frauen treffen sich im Besucher- oder Sprechzimmer der Vollzugsanstalt (frz. „Parloir“, so auch der Titel des Stücks) wo die Mutter ihre Strafe absitzt. In der szenischen Lesung, die die Autorin eingerichtet hat, sitzen sich die Protagonistinnen auf karger Bühne, an einem Tisch schräg versetzt gegenüber. Das Podium, auf sie sitzen, dreht sich von Zeit zu Zeit langsam, so dass man ihrer beider Gesichter und die sich darin spiegelnden Emotionen ihr das Leiden unmittelbar und direkt miterlebt.
Zunächst spricht die Tochter, die aus dem Briefwechsel zwischen Mutter und Vater vorliest. Da schreibt eine junge Frau, die nach wenig Erfahrung mit dem männlichen Geschlecht den Mann ihres Lebens kennen lernt, einen Engländer, von dessen großer Gestalt mit breiten Schultern sie hingerissen ist und in den sie sich dank seines Charmes unsterblich verliebt. In der Ehe zeigt sich jedoch, dass dieser Mann zu Zorn und Gewalt neigt. Und sie immer wieder prügelt. Nicht so sehr, dass es sichtbare Spuren hinterließe, aber es demütigt und schmerzt zunehmend. Ihre Liebe ist jedoch so groß, dass sie das hinnimmt und enorm leidet, was sie aber niemandem offenbart. Opfer dieser Beziehung ist aber auch die heranwachsende Tochter, die das alles mitleiden muss, auch wenn die Mutter sie in ihr Zimmer schickt, wenn der Vater ausfällig wird. Zu einem besonderen Problem wird jedoch, dass die Mutter sie bittet, das alles für sich zu behalten und sich niemandem anzuvertrauen.
Das Faszinierende an dem Dialog ist, wie sich die beiden Frauen langsam öffnen, sich einander nähern und dabei das Vergangene aufzuarbeiten versuchen und wie sie das darbieten. Es gelingt Ihnen so herzzerreißend und aufrichtig mit grandioser Schauspielkunst, dass das sich Publikum diesem Schmerz nicht entziehen kann. Ursache für die Duldsamkeit der Mutter ist, wie die Autorin im verzweifelnden Mutter mit ihrer Tochter herausarbeitet, ist ihre Scham, die so tief wurzelt, dass sie es schlicht nicht schafft, andere einzuweihen oder einfach Ihren Mann zu verlassen. Und wie betrübt sie ist, ihrer Tochter das alles angetan zu haben.
Die enorme Wirkung, die die Autorin mit ihrem Stück erzielt, ist in hohem Maße auch der darstellerischen Kunst der beiden Protagonistinnen zu verdanken.
Dem lang anhaltenden Beifall folgte die offizielle Eröffnung des Festivals durch den Chef des Carreau, Grégory Chauvin, Ricarda Wackers, Kulturchefin von SR 2 Kulturradio, Anne Sophie Donnerieix, Leiterin, des Institut d’ Études Françaises und Bodo Busse, Generalintendant des Saarl. Staatstheaters Saarbrücken, die sich die Trägerschaft teilen, sowie eine Diskussion mit der Autorin, den Schauspielerinnen und dem Übersetzer Uli Menke.
Kurt Bohr