Kaiserslautern, Am Altenhof, ehem. Franz. Kasino, „Krieger“ von Adolf Schaurer © Foto: Peter M. Kruchten
Manche fallen sofort ins Auge, andere scheinen sich zu verstecken, und viele verschwinden fast unbemerkt. Auf jeden Fall sind sie in die Jahre gekommen, stammen aus einer Epoche, die die Jüngeren unter uns nicht mehr erlebt haben. Sgraffiti sind ein typisches Architekturelement der 1950er und -60er Jahre, Ornamente, die in den Putz gekratzt wurden. Genau das ist die Bedeutung des vom Italienischen „sgraffiare“ abgeleiteten Begriffs, und deshalb spricht der Fachmann auch von Kratzputztechnik. Michael Detemple, Stuckateurmeister am Ausbildungszentrum AGV Bau Saar: „Verwendung fand ein feinkörniger Putz aus Flusssand und Grubensand mit Kalk und weißem Zement als Bindemittel – ein absolut perfekter, langlebiger Außenputz, der auch nach siebzig Jahren gut aussieht.“ Mehrere verschiedenfarbige Putzschichten wurden zunächst übereinander aufgetragen; anschließend kratzte der Handwerker im noch feuchten Putzaufbau Flächen wieder ab, um die gewünschte Farbschicht freizulegen. Das verlangte Geschick und setzte minutiöse Planung voraus. Die Technik ist alt, geht auf die Antike zurück und verbreitete sich im 16. Jahrhundert schon einmal, von Italien ausgehend, im süddeutschen Raum. Und dann eben in der Zeit des Wiederaufbaus, des Wirtschaftswunders. Damals waren die relativ preisgünstigen Bilder vor allem Kunst am Bau, grüßten von den Fassaden öffentlicher Gebäude, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser.
Manche fallen, wie gesagt, sofort ins Auge. Der „Phoenix“ zum Beispiel, das großformatige Sgraffito, das den Giebel des Vhs-Gebäudes am Schloss in Saarbrücken ziert, ist schon von weitem zu sehen. Der 1914 in Saarbrücken geborene Rudolf Kaster hat diese symbolhafte Arbeit 1955 für seine Heimatstadt entworfen, die gerade aus den Trümmern des Kriegs neu erstand. Neben Kaster sind Paul Schneider zu nennen, Nikolaus J. Schmitt, Helmut Collman, Wolfram Huschens; sie alle entwarfen viele der großformatigen Bilder an der Saar. In der benachbarten Pfalz prägten Künstler wie Albert Matzdorf, Adolf Scheurer oder Fritz Seeberger das Gesicht von Kaiserslautern oder Zweibrücken.
Andere Sgraffiti scheinen sich zu verstecken. Paul Schneiders pfiffig stilisiertes Bild „Hahn mit Hennen“ an der Giebelwand der Schule am Ludwigsberg (Saarbrücken-Rodenhof) war ursprünglich in kräftigem Rotbraun gehalten. Bei Sanierungsarbeiten in den 1990er Jahren wurde das Wandbild grau übertüncht. Und manche verschwinden fast unbemerkt. Fünfziger-Jahre-Bauten betrachten wir heute mit Skepsis. Nicht selten asbestbelastet, schneiden sie auch unter energetischen Gesichtspunkten eher desaströs ab. Steht das betreffende Gebäude nicht unter Denkmalschutz, bedeutet das oft genug das Aus, den Abriss. Dem Alten Hallenbad in St. Ingbert droht dieses Schicksal; das elegante „Schwimmer“-Bild an der Fassade ist inzwischen schon übersprüht. Die katholische Pfarrkirche St. Pius in Saarwellingen und das dazugehörige Pfarrhaus schmückten Bilder von Arnold Mrziglod. Im Mai 2020 fielen beide Gebäude unter der Abrissbirne. An der Fassade des Kindergartens in Marpingen-Urexweiler hatte Horst von Ehr um 1960 ein Sgraffito „Schutzmantelmadonna“ angebracht; es ging bei der Wärmedämmung des Gebäudes 2012 verloren.
Sgraffiti sind Teil unseres Kulturerbes. Sie atmen den Geist ihrer Epoche und erzählen uns von den Wünschen und Hoffnungen einer Generation. Noch sind Beispiele dieser Kunstform erhalten – an öffentlichen Gebäuden, Handwerksbetrieben und Privathäusern. Einige weitere stellen wir Ihnen vor, in der nächsten Ausgabe von OPUS.
Peter M. Kruchten