Burkhard Fritz und Aile Asszonyi als Tristan und Isolde © Martin Kaufhold
Das Duo der jungen ungarischen Regisseurinnen Alexandra Szemerédy und Magdoina Parditka hatte im vergangenen September Richard Strauss „Ariadne auf Naxos“ am Staatstheater in Saarbrücken inszeniert, eine Produktion, die den Hygienebedingungen der Corona-Pandemie geschuldet war. Eigentlich waren die beiden Regisseurinnen schon im letzten Jahr für die erste ihrer in Saarbrücken geplanten Wagner-Inszenierungen vorgesehen. Nun: Noch immer nicht der erste „Ring“, sondern die etwas kleiner besetzte Oper „Tristan und Isolde“, die die beiden ziemlich eigensinnig umsetzten.
Wir befinden uns in einer spätbürgerlichen Wohnung, die man mit etwas Phantasie als die Wohnung Freuds in der Wiener Berggasse identifizieren könnte, inklusive der Couch,… Nicht zu Unrecht, denn auf Freud beziehen sich die Regisseurinnen ausdrücklich. In ihrer Geschichte von Tristan und Isolde spielt sich das Trauma eines Selbstmordes immer wieder aufs Neue ab, von Anfang an, immer wieder mit dem Unvermeidlichen, das die wahre Liebe nur im Tod ihre Erfüllung finden kann. Und ja, neben Freud nennen die Regisseurinnen noch Goethes „Werther“, Emily Brontë, Viriginia Woolf, Daphne du Maurier und Alfred Hitchcock spielen eine Rolle, ebenso wie die Traumwelten des C. G. Jung: ein Cocktail von Selbstmordgeschichten, Thrillern und Psychosen. Sie verorten das Geschehen ins traute Heim, das die Regisseurinnen als Abbild der menschlichen Psyche sehen, als ein Ort auf der „Fahrt ins Unbewusste“. Für solch ein Bühnenbild hätte fast die Opernwelt eines Richard Strauss und Momente seiner Sinfonia domestica gepasst. Hier wird aber Hitchcock-like die ungeheuer große, berührende und tragische Liebesgeschichte von „Tristan und Isolde“ (neu) erzählt.
Ja, die Oper selbst ist unberührt geblieben, die Musik, die Klangwallungen, die Stimmen, die Kantilenen. Wer wollte, hätte im Saarbrücker Staatstheater einfach die Augen zumachen können und die Musik vor dem inneren Auge und dem offenen Ohr ablaufen lassen können. Und er wäre äußerst gut weggekommen. Das Orchester hat schnell seinen ‚Wagner-Ton‘ in überzeugender Weise gefunden, in den dichten Klängen, aber auch in den vielen transparenten und manchmal fast filigran ausmusizierten Momenten. Dazu eine phänomenale Sängerbesetzung der Solisten, die als Gäste kamen. Beide stehen erst am Anfang einer sehr vielversprechenden Wagner-Karriere: eine vorzügliche Isolde, gesungen von Aile Asszonyi, dem dramatischen Sopran. Sie singt zurzeit an verschiedenen großen Bühnen Wagner-Rollen, und bleibt dem Staatstheater auch bei den zukünftigen Wagner Plänen treu. Sie durchlebt mit ihrer charakteristischen Stimme alle Emotionen und Leiden von Isolde und lässt uns so teilhaben an ihrem Seelenleben. Der Heldentenor Burkhard Fritz ist als Tristan ebenso überzeugend mit seiner Mischung aus Größe, ja Gewalt und Hingabe, mit einer Stimme, die den zweifelnden Tristan ebenso verkörpert wie den heroischen. Daneben brillierten Judith Braun als Brangäne mit hoher Intensität und Peter Schöne mit klarem Ton und vielen schauspielerischen Aufgaben; auch Stefan Röttig (Melot), Hirosho Mastui (König Marke) kamen aus dem eigenen Haus und vollendeten wunderbar das Sängerensemble.
Die Geschichte von Tristan und Isolde wurde, wie schon angedeutet anders erzählt. Der Liebestod mit vergiftetem Trunk erfolgte schon nach dem ersten Akt. Dann wurde er wiederholt am Ende des 2. Aktes und natürlich am Ende des 3. Aktes. Da durfte man als Zuschauer, wenn man sich nicht ins Programmheft vertieft hatte, schon in Verständnisprobleme kommen. „Aber so etwas kennen wir doch vom Film, diese Rückblenden. Für mich sehr interessant“, sagte in der Pause ein junger Zuschauer. Das Publikum war gespalten. Den Jubelrufen für die Sänger folgten laute Buhs, als sich das Regieteam am Schluss auf der Bühne zeigte.
Friedrich Spangemacher