Das Ensemble von „Al gran sole cari co d’amore“ © Foto Andreas Etter
Premiere am Staatstheater Mainz: Frauen in der Revolution
Luigi Nono‘s Oper „Al gran sole carico d’amore“
Das Mainzer Staatstheater hat Luigi Nonos zweite Oper auf die Bühne gebracht, mit Verve, Mut, Ehrgeiz und in einer Inszenierung von sehr hohem künstlerischen Niveau.
Die Oper aus dem Jahre 1975 erzählt die Geschichte von Revolutionären seit den Tagen der Pariser Commune 1871 – nein: genauer von den Frauen in den Aufständen, die so häufig mit blutigen Niederlagen endeten. Von Louise Michel, der französischen Communardin, der ‚Roten Wölfin‘, die sich 1871 mit dem brutalen Chef der Exekutive , Adolphe Thiers, anlegte, von Tanja Bunke, der deutsch-argentinischen Kämpferin an der Seite Che Guevaras, von den beiden kubanischen Revolutionärinnen Haydée Santamaria und Celia Sánchez sowie der Mutter aus dem gleichnamigen Roman von Maxim Gorki, die Mann und Sohn im Widerstand verloren hatte und weiter für die Freiheit kämpft. Es ist die Tragik der Geschichten, die Nono aufgreift, dass diese Frauen nicht zur Befreiung hatten beitragen können. „Al gran sole“ ist deshalb aber nicht die Erzählung tragischer Aufstände, vielmehr die heroische Geschichte von Menschen, die hohe Ideale hatten und dafür ihr Leben gaben. Es sind Figuren und Utopien, mit denen man sich identifizieren kann. „Die Schönheit steht der Revolution nicht entgegen“, heißt es gleich zu Anfang in einem Zitat Che Guevaras. Und Nonos Oper vereinigt die schönen Klänge mit den Klängen des Kampfes.
Das Unbedingte der Klanggestaltung zeichnet den Komponisten Luigi Nono aus, nicht nur in diesem Stück. Die lyrischen Passagen ergreifen, sie können bis ins Schmerzhafte gehen, aber immer auch bis in überirdische Höhen, die Klänge des Kampfes sind schrill, unerbittlich, aggressiv und anklagend, die Klänge seiner mit „Riflesssoni/Reflexionen“ überschriebenen Passagen sind transparent, aber auch bohrend, geben Raum, können sehr poetisch sein, sind aber auch von widerstrebenden Gedanken geprägt. Die Musik lässt den Zuhörer nie in Ruhe, fordert Anteilnahme, Partei zu ergreifen.
Hermann Bäumer, der Chefdirigent des Theaters war phantastisch am Pult, umsichtig und höchst kontrollierend. Er hielt Solisten, Chor, ein Riesenorchester plus Elektronik bewundernswert zusammen, gestaltete überzeugend. Vor drei Jahrzehnten waren die großen Aufführungen Nono‘scher Musik noch die Sache von besonderen Spezialisten, insbesondere beim Gesang. Das Staatstheater Mainz zeigte, dass man auch mit Hauskräften zu Spitzenleistungen kommen kann, die vollends überzeugen. Von den vier Sopran-Hauptrollen sind drei fest am Haus verpflichtet, Alexandra Samouilidou, Maren Schwier und Linda Sommerhage, zu denen Marie-Christine Haase kam, allesamt phantastisch und wirkungsvoll in den überirdischen Klängen, die sie zu singen hatten. Auch die Sängerin der Mutter, Sanja Anastasia, gehört zum Ensemble ebenso wie der Sänger des Pavel, Brett Carter. Beide glänzten gesanglich auf höchstem Niveau, sie brillierten aber auch schauspielerisch. Die Hausregisseurin Elisabeth Stöppler zeichnet für die durch und durch schlüssige Inszenierung verantwortlich.
Das Publikum begriff schnell, dass dieses Stück, diese Inszenierung mit der aktuellen Lage, mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hatte. Wie schrieb das Staatstheater: „Und plötzlich entfaltet Nono‘s Sehnsucht nach der großen Sonne vor der Folie des Weltgeschehens eine nicht nur zutiefst aktuelle, sondern auch drastische Dimension“. Diese Oper sei ein „unmissverständlicher Appell für Frieden und Freiheit – gegen Unterdrückung und Gewaltherrschaft“.
Friedrich Spangemacher