Lennart Hillmann © Alan Ovaska
„Open minded“ – der englische Begriff, der im Deutschen nur unzulänglich mit „aufgeschlossen“ übersetzt ist, fällt einem spontan ein, wenn man mit Lennart Hillmann ins Gespräch kommt. Wach und mit offenem Blick sitzt der junge Schauspieler an diesem Nachmittag am Tisch auf der leeren Probebühne des Theaters Trier. Enthusiasmus und jenen frischen Aufbruchswillen, der entschlossen ist, sich die Welt zu erobern, verströmt der 1995 geborene Absolvent der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Nach Trier ist er ins erste Engagement gekommen. Lennart Hillmann ist ein aufmerksamer Zuhörer, dessen wohlüberlegte Entgegnungen klare Haltungen erkennen lassen. Seit Kindertagen habe er zum Theater gewollt, erzählt der schmale junge Mann, von dem eine Entschiedenheit ausgeht, die dennoch nichts Anmaßendes hat. Auf Anhieb glaubt man ihm, wenn er gesteht: „Ich hätte alles dafür gegeben, einen Platz an einer Schauspielschule zu bekommen“. Den gab es dann auch, und gleich am derzeit einflussreichsten Institut der Kunstsparte. Alles ausprobieren, sich fordern, bisweilen auch sich überfordern, um zu wachsen, ob es um Regiesprachen, Rollen oder Medien geht: Für den Schauspieler ist seine Kunst gleichermaßen Herausforderung wie Experimentierfeld. Kaum verwunderlich, dass er seinen Hochschullehrer Veit Schubert als Vorbild nennt, der einmal von sich sagte: „Ich bin Schauspieler geworden, weil ich nach einer Stelle gesucht habe, wo man frei über das Leben nachdenken kann.“
Vorwärts, geradezu in Goethes Sinn, trieb es schon den Studenten. Seine Diplomarbeit schrieb er über das E-Casting, eine Möglichkeit, sich anstelle des Live-Castings in Form eines Videos bei Agenturen, Theatern und anderen zu bewerben. Was bei Schauspielern umstritten ist, bewährte sich jetzt in Corona-Zeiten als willkommener Nothelfer, genauso wie das vielerorts misstrauisch beäugte Streaming. Für Hillmann nur ein Weg mehr, die Welt zu erreichen und sich Kunst und Kultur weltweit ins Haus zu holen. Deren Daseinsberechtigung ist für den Künstler nicht verhandelbar: „Wir haben ja gerade wieder gemerkt, wie unverzichtbar Kultur für unser gesellschaftliches Gefüge ist. Von ihr kommen bedeutende Impulse für unsere Zeit.“ Am kleinen Trierer Haus schätzt er, dass er schon als Anfänger wichtige Rollen spielen kann. „Dafür bin ich unendlich dankbar.“ Ein quicklebendiger wie anrührender Huckleberry Finn war er dort unlängst. Als Ferdinand ist er demnächst in Schillers „Kabale und Liebe“ zu sehen. In der Rolle aufgehen, ohne sich selbst dabei zu verlieren, den darstellerischen Spagat, muss auch Hillmann immer wieder aufs Neue schaffen. „Ich glaube, irgendwo bleibt man immer man selbst“, sagt der Künstler. „Die Frage ist, wieviel man davon zulässt.“ Und wie hält er es mit dem Respekt vor dem Werk? Respekt ja, nickt Hillmann. Gleichwohl seien individuelle Aneignung und zeitgenössische Überschreibung unbedingt notwendig. Am Theater liebt der Künstler, der auch Film- und Fernseherfahrung hat, den unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum. „Man spielt immer im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Herausforderung und der Erwartungshaltung des Publikums.“ Überhaupt ist für den Schauspieler die Kunstfreiheit des Theaters viel größer als die des Films. „Vom Theater erwartet man immer einen Ertrag, der über die bloße Erzählung hinausgeht.“
Eva-Maria Reuther im OPUS Kulturmagazin Nr. 87 (Sept./Okt. 2021)
Info: „Kabale und Liebe“, Theater Trier, 16.10., 19:30 Uhr