Ein computergeneriertes Bild, Portrait of Edmond de Belamy © Gemeinfrei, wikimedia commons
Die Sensation war perfekt. Für über 69 Millionen Dollar versteigerte das New Yorker Auktionshaus Christie`s Anfang März eine digitale Collage des amerikanischen Künstlers Mike Winkelmann alias Beeple. Zum Aufruf war das Werk „Everydays: The first 5000 days“ gekommen, eine in 13 Jahren entstandene Montage aus unzähligen bunten digitalen Bildern. Den Zuschlag hatte der anonym bleibende Investor eines Kryptofonds erhalten. Bezahlt wurde folgerichtig in Krypto-Währung. Die Versteigerung war auch in anderer Hinsicht eine Premiere. Zum ersten Mal wurde ein Werk der verschlüsselten Krypto-Kunst versteigert. Doch dazu später. „Holy fuck“ wird der 39-jährige Künstler zeitgeistig beim Erhalt der Nachricht vom Erlös seiner Arbeit zitiert. Distinguierter reagierte man beim Auktionshaus. Als „Weckruf“ bezeichnete Noah Davis, Spezialist für zeitgenössische Kunst bei Christie`s, den Rekordpreis. Man stehe möglicherweise vor einem Paradigmenwechsel. Der Verkauf sorgte für Aufruhr. Gleichwohl kommt nicht überraschend, was die traditionelle Kunstszene als digitalen Bildersturm in Erregung versetzt.
„Das Bild aus dem Computer hat Konjunktur“, erkannte bereits in den 60er Jahren visionär Frieder Nake. Der Mathematiker und Informatiker aus Bremen gilt vielerorts mit seinen digitalen Grafiken als Pionier der digitalen Kunst. Inzwischen hat sich die Pixel-Kunst längst etabliert und kann auf eine zuverlässige Sammler-Klientel setzen, die auf Wertzuwachs hofft. Die Kunstmarkt-Berichte geben ihr Recht. Digitale Kunst boomt, die Preise steigen rasant. Allein 2020 wurden 250.000.000 Dollar bei Sammlern mit digitaler Kunst umgesetzt. Alle Kunst kommt aus ihrer Zeit, deren Ausdrucksmittel und technische Innovationen sie nutzt und zu deren Traditionen wie Aktualitäten sie sich ins Verhältnis setzt. Die Forderung der Hewlett-Packard Chefin Carly Fiorina „Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, macht folglich in einem Zeitalter, das sich das digitale nennt, auch vor der Kunst nicht halt. Lange schon hat die Digitalisierung alle Kunstbereiche erreicht, deren Sparten sie mit nie gekannter Leichtigkeit und Fantasie kreuzt und vernetzt. Dem Betrachter ermöglichen die virtuellen digitalen Welten neue ästhetische Erfahrungen, den Künstlern ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten. Neben Fantasie und schöpferischem Willen braucht es lediglich die passende Software und den gekonnten Umgang mit ihr. Das zumindest unterscheidet digitale Kunst nicht vom künstlerischen Umgang mit herkömmlichen Techniken. Hinter sich gelassen hat die digitale Kunst dagegen die traditionelle Doppelnatur des Kunstwerks als Symbol wie Ding. Jene unmittelbare, fassbare Materialität, in der sich nicht allein die Körperlichkeit der Gestaltungskomponenten wie etwa Leinwand oder Farbe darstellen. Über seine sichtbare Einwirkung, im Duktus und Farbauftrag ist der Künstler selbst präsent. All das verleiht dem Werk die „Aura“ des Originals.
Das digitale Kunstwerk ist nicht dinghaft
Das digitale Kunstwerk verfügt hingegen über keinerlei Dinghaftigkeit. Es ist einzig Rechendatei. Seine Maße werden in Bytes angegeben. Wo sich Walter Benjamin noch philosophisch um die gefährdete Aura des Kunstwerks „in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit“ sorgte, ist in Zeiten digitaler Bilder die Reproduktion etwa über den Drucker die einzige Möglichkeit, das Werk dingfest zu machen. Anders als beim analog entstandenen Kunstwerk, bei dem die Gestaltungsmittel maßgeblich die Ästhetik des Werks bestimmen, besteht zudem zwischen dem am Computer generierten Bild und seiner Ästhetik kein sichtbarer Zusammenhang. Das digitale Bild bleibt virtuelle Wirklichkeit eines auf Knopfdruck aktiven oder versiegenden Datenstroms. Für Peter Weibel, den Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, ist die digitale virtuelle Kunst die logische künstlerische Ausdrucksform einer Gesellschaft, die sich zunehmend im virtuellen globalen Raum bewegt und weit mehr geprägt ist von Maschinen und Technik als von physischer und emotionaler Erfahrung und Empfindung. Auch im Kunstwerk müsse sich darstellen, wie entscheidend Digitalität, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt das Gefühl für Raum, Zeit und Körper verändert hätten, fordert Weibel. Für den Künstler und Medienexperten sind Unmittelbarkeit und Materialität als notwendige existenzielle Grundlage des Kunstwerks weltferne nostalgische Vorstellungen. Das digitale Kunstwerk schafft nicht nur virtuelle Bildwelten. Es begnügt sich auch zur Präsentation mit virtuellen Räumen. Längst kann man sich Angebote von Museen und Galerien bequem online nach Hause holen. Der heimische Bildschirm wird zum virtuellen Ausstellungsraum. Die digitale Kunstwelt der Pixel mag noch so spannend sein. Der Wunsch, ein einzigartiges, einmaliges Original zu besitzen, bleibt gerade bei Sammlern unverändert bestehen. Nicht zuletzt entscheidet solcherart Originalität über den Marktpreis. Das Problem haben Künstler mit der Anwendung des NFT Verfahren inzwischen im Griff. NTF ist die Abkürzung für Nonfungible Token, eine Bezeichnung, die aus der digitalen Krypto-Währung kommt und so viel bedeutet wie nicht austauschbare Werte. Im Klartext: NFT-Bilder haben verschlüsselte Dateien, die verhindern, dass das Werk verändert oder kopiert werden kann. Das Verfahren wird mittlerweile von zahlreichen Künstlern angewandt, darunter auch Mike Winkelmann. Keine Frage: in der digitalen Kunst findet eine Welt Ausdruck, die sich im Cyberspace bewegt und schon lange nicht mehr auf physische Präsenz angewiesen ist. Eine frohe Botschaft. Die exklusiv menschliche Fähigkeit, eigenständig Ideen und Visionen zu entwickeln und als Ästhetik zu veräußern, wird damit allerdings nicht überflüssig.
Eva-Maria Reuther im OPUS Kulturmagazin Nr. 85 (Mai/Juni 2021)