Die vielen Selbständigen der Kulturbranche sind von den Schutzmaßnahmen gegen die Seuche überdurchschnittlich betroffen. Sie brauchen einen Unternehmerlohn, um zu überleben. Hartz IV ist für sie keine Lösung.
Kurz flammte vor einer Woche bei den rund 2,2 Millionen Solo-Selbständigen die Hoffnung auf, endlich erhört worden zu sein. Die Vergessenen der Corona-Hilfen, die bisher aus Bundesmitteln keinen angemessenen Ausgleich für ihre Einnahmeausfälle erhalten, vernahmen die Botschaft, ihnen würde geholfen. Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier verkündeten eine „Neustarthilfe“ für Solo-Selbständige. Ein „Zuschuss“ von 5000 Euro für sieben Monate solle dieser riesigen Beschäftigungsgruppe, von der ein großer Teil in der Kreativwirtschaft arbeitet, zeigen, dass nun auch für sie gelte, Solidarität sei „das Gebot der Stunde“.
Wer Altersvorsorge betrieben hat, steht nun schnell mit leeren Händen da
Doch die Verbände, die sich seit Monaten für die Gleichbehandlung der Solo-Selbständigen einsetzen, reagierten nach Analyse des Angebots verbittert. „Zu wenig, zu spät und falsch gedacht“ nennt es etwa der Verband der Gründer und Selbstständigen, „Etikettenschwindel“ die Veranstalter-Initiative #AlarmstufeRot.
Die Sorgen sind begründet. Die 714 Euro monatlich werden weder unbürokratisch verteilt, noch bekommt sie in dieser Höhe jeder. Und sie schließen andere Unterstützungen aus – abgesehen vom untersten Fangnetz des Sozialstaates, der Grundsicherung. In das werden seit Beginn der Pandemiemaßnahmen alle Solo-Selbständigen von der Bundesregierung verwiesen. Auch diesmal. Zum Leben sollen die einst gefeierten Ich-AGs vom Kameramann bis zur Konzertpianistin bitte Hartz-IV beantragen – das sie häufig gar nicht bekommen, zum Beispiel, weil sie zur Alterssicherung Vermögen angespart haben.
Ausgerechnet die SPD besteht auf Hartz IV für Freiberufler
In der Kulturbranche, die von Ankündigungen eines wohl über den November hinausreichenden Veranstaltungsverbots besonders hart betroffen ist, herrscht zu Recht Aufruhr. Denn es gäbe eine klare Alternative zu dem entwürdigenden System der Sozialhilfebeantragung mit ihrem ungewissen Ausgang. Bereits im April hatten die 16 Bundesländer einstimmig an Peter Altmaier appelliert, einen „Unternehmerlohn“ als fairen Ersatz für unverschuldete Einnahmeausfälle zu beschließen.
Den lehnte der Wirtschaftsminister damals noch ab, woraufhin wenigstens Baden-Württemberg die pauschalisierte Hilfe von 1180 Euro monatlich einführte. Bayern will dieses Modell jetzt für den Kultursektor übernehmen. Und auch Peter Altmaier ließ sich inzwischen von dem Verfahren als gerechter Entsprechung zum Kurzarbeitergeld für Festangestellte überzeugen. Nur die SPD leider nicht.
Ausgerechnet die Partei, die sich als Vertreterin der sozialen Gerechtigkeit versteht, blockiert jede Form angemessener Hilfen für Menschen ohne Festanstellung. Als vorbildhaft preist sie stattdessen das vom letzten SPD-Kanzler eingeführte Hartz-IV-System, von dem sie sich eigentlich schon distanziert hatte. Diese neue Liebe zur ungeliebtesten Erfindung der Schröder-Zeit geht auf Kosten der Kreativen, getarnt als Fürsorge.
Möglicherweise meint die ehemalige Arbeiterpartei, dass Selbständige sowieso nicht SPD wählen, sondern grün oder schwarz. Ihre Klientel sieht sie offenbar ausschließlich bei Angestellten – und erhöht deren Kurzarbeitergeld. Den Selbständigen präsentiert sie dagegen eine weitere Enttäuschung in ihrer Hoffnung auf den auf Ausgleich bedachten Staat. Das macht im Zweifel ein Minus von bis zu 2,2 Millionen Stimmen. Dies muss sich eine Partei erst einmal leisten können.
Till Briegleb am 23.11.2020 in der Süddeutschen Zeitung