Stephanie Theiß als Maria Callas © Martina Pipprich
„Ich will den Moment leben“
„Wir treten auf und sind!“ Streng weist sie die unbeholfene junge Sängerin zurecht, die von einer großen Karriere träumt. An diesem Abend spielt – pardon: ist – Stephanie Theiß die Primadonna assoluta Maria Callas in Terence McNallys Bühnenstück „Meisterklasse“. Im elegant fließenden schwarzen Hosenanzug steht sie oben auf der Bühne und erdet mal boshaft, mal brutal die übereilten Höhenflüge ihrer Schüler und Schülerinnen. All das im Dienst der Kunst. Stephanie Theiß gibt der Rolle der einsamen Diva an diesem Abend Tiefe und vermittelt seelische Wundheit.
Mittags noch hatte die Schauspielerin im Foyer des Theaters gesessen und über ihre Arbeit gesprochen. Zart hatte sie da gewirkt und verletzlich, wie eine, die längst nicht beim ersten Anlauf mit sich zufrieden ist, sondern gründlich und selbstkritisch das eigene Spiel überdenkt. Eine Charakterdarstellerin ist die 1970 geborene vielseitige Schauspielerin, die seit 2018 Ensemblemitglied am Theater Trier ist. Als arrogante Karrierefrau aus der Finanzwelt, war sie dort zu sehen. Als Saladins Schwester Sittah beeindruckte sie in „Nathan der Weise“. Eine emanzipierte Rationalistin mit Herz begegnete da ihrem Bruder auf Augenhöhe. Die griechische Diva, der die Kunst Weihefeier wie Rettungsanker ist, bleibt bislang in Trier ihre komplexeste, widersprüchlichste Rolle. „Nicht spielen, leben!“ – was der Schauspielerin ihre Lehrer an der Folkwang-Universität, wo sie ausgebildet wurde, ins Stammbuch schrieben, bleibt für sie bis heute Gebot. Eine Rolle leben heißt auch für Stephanie Theiß den alten Spagat schaffen, sich selbst und die eigene Persönlichkeit als Instrument einzusetzen, und doch als Rollenperson ein anderer zu sein. Manche Rollen sollte man erst mit einer gehörigen Portion Lebenserfahrung übernehmen, ist sich die Künstlerin sicher. „Bei der Callas war es die Erfahrung des Verlusts, die ganz wichtig war, um sich in diese Rolle einzuleben“, sagt die Schauspielerin.
Erstmal ging es allerdings bei der Entscheidung für die Bühne nicht um Verlust, sondern um Landgewinnung. „Meinen ersten Auftritt hatte ich schon als ganz kleines Mädchen“, lacht die Künstlerin. Das Stockwerkbett mit Vorhang in einem Ferienhaus war der erste Versuch der Vierjährigen auf den Brettern, die ihr bis heute die Welt bedeuten. An der Essener Universität, wo seit jeher ein ganzheitlicher Kunstbegriff gepflegt wird, erhielt Theiß neben dem Schauspiel auch eine Ausbildung in Tanz und Gesang. Viele Stationen weist ihre Vita seitdem auf, darunter das Residenz Theater in München, die Staatstheater in Wiesbaden, Darmstadt und Karlsruhe, oder die Oper Frankfurt. Neben ihren zahlreichen Bühnenrollen war sie auch in Film- und Fernsehen tätig.
Was das Theater zu einer ebenso flüchtigen wie spannenden Kunstform macht, ist für die Schauspielerin Anreiz und Herausforderung. „Ich möchte den Moment leben.“ Wenn sie das sagt, klingt Leidenschaft in ihrer Stimme. Jedes Mal neu soll die Rolle dabei ausgelotet werden. „Ich will mich nicht hinter der Verabredung verstecken.“ Ihre Rollen geht sie psychologisch an. Der Regisseur ist ihr dabei wichtig. „Ich brauche jemanden, der kritisch von außen draufgucken kann.“ Nicht nur gucken, sondern auch offen sein, für die Ideen der Schauspieler und neue Impulse. Genauso wichtig ist Stephanie Theiß die Arbeit im Ensemble. Und natürlich will auch sie ihr Publikum erreichen. Welche Rolle sie gern einmal spielen will? Da muss die Schauspielerin nicht lange nachdenken. „Die Blanche aus ‚Endstation Sehnsucht‘.“
Eva-Maria Reuther im OPUS Kulturmagazin Nr. 89 (Jan. / Feb. 2022)
theater-trier.de