Alexandra Christian in dem Tanzstu?ck Clara von Stijn Celis © Foto Bettina Sto?ss
So sehen Menschen aus: Tänzer in körperfarbenen hautengen Kostümen treten auf beim großartigen Ballettabend „Futureworld“ und zeigen sich in ihrer ganzen Schönheit: Sie wirken nackt, verletzlich und ursprünglich. Dann wechselt am Saarländischen Staatstheater das Licht, und man fragt sich: Sehen so Menschen aus? Denn plötzlich leuchten auf den Körpern Platinen und Drähte – das Innenleben von Computern auf. Sind das Cyborgs? Oder Roboter? Der Saarbrücker Ballettdirektor Stijn Celis geht in seinem neuen Stück „Clara“ der Frage nach, was künstliche Intelligenz mit Menschen macht. „Clara“ ist eine Erzählung von E.T.A. Hoffmann, in der ein künstliches Wesen erschaffen wird. Diese Geschichte diente Stijn Celis als Inspirationsquelle, in der er sich auch historisch mit unterschiedlichen Aspekten übernatürlicher Intelligenz auseinandersetzt. Das beginnt im naturreligiösen Kontext, wenn er Schamanen im Fell über die Bühne tanzen lässt oder zu chorisch-rituell anmutender Musik eine Art Tempelgemeinschaft in römisch-griechisch anmutenden Gewändern weihevoll und zeremoniell auftreten lässt. Das schafft einen roten Faden: Versuchten nicht schon Schamanen das natürliche Sein mit Übernatürlichem zu verbinden, ähnlich wie die Erfinder von Cyborgs Mensch und Maschine in optimierten Lebensformen zusammenfassen wollen? Viele dieser Fragen kommen einem bei dem ästhetisch beeindruckenden Andeutungstheater in den Sinn.
Es geht nicht um Antworten, eher darum, in der Mischung aus Tanz, Musik und Kostümen Denkanstöße zu geben. Die Musik in ihrer Mischung aus impulsiver Modernität und manchmal pathetischer Monumentalität unterstützt das – vor allem aber sind es die Kostüme der international erfolgreichen Homburger Modedesignerin Laura Theiss. Dass Kostüme, die die Tänzer nackt wirken lassen auf einmal digital zu leuchten beginnen – das ist äußerst beeindruckend und setzt die Thematik von künstlicher Intelligenz und ihren Einfluss auf den Menschen kongenial um. „Clara“ ist der erste Teil, des zweiteiligen Ballettabends, der das 3. Tanzfestival Saar eröffnete und die gesamte Spielzeit zu sehen sein wird. Auf das Stück von Celis folgt „Liedgut“ von Richard Siegal, eine Produktion aus dem Jahr 2014 und bis heute eines der spannendsten Ballette der letzten Jahre. In einer eigenwilligen komisch-ironischen Ästhetik, die mit einer teilweise an „Kraftwerk“ erinnernden Musik und einer großen LED-Projektion in Form eines sich frei auf der Bühne bewegenden Riegels an die Frühzeit der Technikbegeisterung erinnert, scheinen die Tänzer wie Elektroteilchen über die Bühne zu flirren, mal in Wellen, mal chaotisch – und mal so, als würden sie von dem LED-Riegel wie von einem Kopierer gescannt. Das Publikum feierte den Ballettabend. In beiden Stücken zeigt sich das Staatsballett in Höchstform: Präzise, formschön und voller Agilität.
Karsten Neuschwender