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Posy Simmonds Alltagsabsurditäten und Allüren

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Cassandra Darke, Posy Simmonds, Cover © Posy Simmonds

Cassandra Darke ist ein harter alter Knochen mit Chuzpe. Und Schnauze, Rüffel austeilen ist ihre Königinnendisziplin. Eines ihrer Lebensmottos: „Beiß ins Gras, so lange du noch Zähne hast.“ Mit der Wahrheit nimmt es die kantige Galeristin nicht genau. Zur persönlichen Gewinnmaximierung lässt sie Duplikate von Kunstwerken herstellen. Ihre Machenschaften fliegen auf, sie wird verurteilt, verliert Ansehen und Vermögen, ist nun eine Art Gefallene des Kunstbetriebs. Und findet zudem eine Waffe in ihrem Londoner Souterrain. Für Posy Simmonds, Altmeisterin des britischen Cartoons und Comics, der perfekte Boden ihre neue Graphic Novel „Cassandra Darke“ neben brillanter Gesellschaftsanalyse und Kulturkritik auch mit Thrillerqualitäten auszustatten.

Wie oft geht es bei Simmonds um die Kluft zwischen denen oben und denen unten, den Habenichtsen und den Well-to-do, den Gebildeten und den Blasierten. Cassandra gewährt ihrer Nichte Nicki Obdach, Kunststudentin mit obskuren, sozialen Projekten wie Weihnachtsfrauen-Stripshows zugunsten der Armen. Als Nicki sich in einen Jungen verliebt, der sich mit Bad Guys abgibt, gerät sie in den Schlamassel und Cassandra mit. Posy Simmonds neues Werk ist so komplex wie die Vorgänger, für eine Graphic Novel geradezu ein Dickens, episch viel Text, jede Figur hat ihre eigene Geschichte.

Sie erzählt spitzfedrig mit Witz, Sarkasmus, Elan und mit Gespür für gesellschaftliche Ungleichgewichte, für Allüren und dämliche Moden und überhaupt stets zitierenswürdig: „Ich hasse Gedenkgottesdienste. Nach meiner Erfahrung kommen die Leute nur wegen der anschließenden Drinks. Davor sitzen sie da und planen ihre eigenen Abschiedsfeiern oder gucken, wie alt/krank/fett die anderen geworden sind. Nicht dass mein Motiv (Neugier) edler wäre.“

Cassandra, die ohne ihre Galeriearbeit mit viel Freizeit zurechtkommen muss, ahnt woher die Waffe kommen könnte, ebenso wie ein versteckter Handschuh, vor Jahren ist eine junge Frau verschwunden, sie sticht in ein Kleinkriminellennest, was Simmonds zu einem Panoptikum an sozialem Sprengstoff ausbaut: Hier übersatte Gleichgültigkeit, da zorniges Prekariat, dazwischen vogelfreie Migranten. Gewalt, Machtspiele der Geschlechter, die Tragik des Altwerdens, ein enormer Themenkanon.  Posy Simmonds Protagonistinnen sind selten von Grund auf sympathisch. Leicht verquere Typen, manchmal unbequem oder verzweifelt. Man nehme ihr geniales „Gemma Bovery“ (Reprodukt 2011), eine schalkhafte, höchst amüsante Version von Gustave Flauberts „Madame Bovary“. Gemma suhlt sich etwas zu sehr in ihrem selbst geschaffen Leid, als dass man es nachempfinden wollte, ihr Lebengleicht einer „bourgeoise fantasy“, wie Simmonds es ausdrückt. Gemma ehelicht ihren Bovery aus so naiven wie monetären Gründen und bringt in ihrem Domizil in Frankreich das Leben eines Bäckers aus den Fugen. Dieser gerät ob der Namensähnlichkeit von Madame in einen Flaubertschen Wahn und besiegelt mehr oder weniger versehentlich Gemmas Schicksal. Der Abgang, den Simmonds Gemma verschafft, ein brillanter Clou. Und welch ein Schlag für die französische Backkunst.  Irritierenderweise scheinen Simmonds weibliche Charaktere einiges zu tun, um doch in die Norm zu passen.  Gemma, anfangs eher dicklich, verliert derart an Gewicht, dass sie danach Vamp-Ausstrahlung hat. „Tamara Drewe“ (Reprodukt 2010), eine Rückkehrerin aus der Stadt, die den Teilnehmern einer Writers Residenz den Kopf verdreht, hatte eine Nasen-OP. Wieder zielt Simmonds ab auf Snobismen des Literaturbetriebs und zeichnet wie stets realitätsnah, mit weichem Strich und Sinn für das Komische im Detail. Da hallt was nach von Hogarth, Doré und auch von den durch die Natur inspirierten Präraffaeliten.

Bereits Simmonds frühe Kolumnen für den Guardian, die in Comics wie „Very Posy (Jonathan Cape 1985) oder „Mrs. Weber‘s Diary“ (Jonathan Cape 1979) eingingen, lassen ihre Lust an Satire und Entlarvung von Absurditäten erkennen. Auch im Metier Kinderbuch ist sie versiert, man nehme „Die Katze des Bäckers“ (Diogenes 2004), ein ausgebeutetes Fell-Aschenputtel, das mit Mäusehilfe den Laden übernimmt. Unvergessen auch ihr tapferes Kaninchen „Lavender“ (Jonathan Cape 2003). Egal in welcher Sparte, Simmonds bleibt eine Meisterin der feinen, ironischen Alltagsbetrachtung.

Ruth Rousselange im OPUS Kulturmagazin Nr. 79 (Mai/Juni 2020) in der Rubrik Literatur

Posy Simmonds: Cassandra Darke. Reprodukt 2019. 96 S.,€ 24,00 (D)

Filed Under: Kulturleben

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