Am Samstag fegten die Deftones die Besucher:innen mit einer energiegeladenen Show weg © Sandra Aline Wagner
Was für ein Wochenende! Auf dem Nürburgring hieß es endlich wieder: Rocken, was das Zeug hält. Nach zweijähriger pandemiebedingter Pause eröffnete das deutsche Kultfestival Rock am Ring die Festivalsaison 2022. Insgesamt 85.000 Besucher:innen strömten am Pfingstwochenende in die Eifel, um internationale Künstler:innen wie Green Day, Muse und Volbeat live zu sehen und das Leben zu genießen. Dabei präsentierte sich Rock am Ring mit einigen Neuerungen: Erstmals wurde das Festival in diesem Jahr von der Konzertagentur DreamHaus ausgerichtet, und nicht mehr von LiveNation. Das neue Management unter Matt Schwarz setzte dabei verstärkt auf Nachhaltigkeit: „Wir haben erstmals auf ein nachhaltiges Geschirr- und Bechersystem für den Großteil der Food-Angebote gesetzt. Unser komplettes Merchandise ist organic und nachhaltig hergestellt. Wo möglich, haben wir Ökostrom vom Nürburgring bezogen und auf Generatoren verzichtet. Recycling-Stationen wurden eingeführt und der Müll wird vom Entsorger maschinell sortiert, um möglichst viel Abfall in den Kreislauf zurückzuführen. Das Backstage-Catering war bio und regional, auf Plastik wurde bestmöglich verzichtet. Mit tentation und Utopia sind wir eine Kooperation eingegangen, durch die ermöglicht wird, kaputte und liegen gelassene Zelte weiterzuverwenden,“ erklärt Schwarz im Interview am Pfingstmontag. Neu war auch das Cashless-Bezahlsystem, mit welchem die Besucher:innen bargeldlos über einen Chip an ihrem Festivalbändchen an jedem Stand auf dem Gelände zahlen konnten. Schlangenbildung wurde dadurch reduziert und man kam deutlich schneller an einen (recht stramm bepreisten) Becher Bier als erwartet. Was allerdings zu Staus und Blockaden führte, war die Ansiedlung der sogenannten „Fressmeile“ zwischen der Hauptbühne und der Mandora Stage: dies führte zu „Hauptverkehrszeiten“ dazu, dass die Schlangen an den Essensständen den Besucherstrom zwischen den beiden Bühnen blockierten und dadurch ein flüssiges Hin- und Her zwischen den verschiedenen Bands und Bühnen erschwerte.
Nach zwei Jahren Maskenpflicht, Lockdowns und Pandemie war Rock am Ring für viele die erste Massenveranstaltung seit langem – anfängliche Bedenken wurden jedoch schnell zerstreut, so auch bei Nadine aus Illingen: „Es war natürlich sehr schön, wieder auf Rock am Ring zu gehen – auch wenn es anfangs etwas ungewohnt war, nach so langer Zeit wieder unter so vielen Menschen zu sein. Das hat sich aber schnell gelegt; spätestens beim Durchschreiten des Haupteingangs war das Festivalfeeling sofort wieder da!“ Tatsächlich sah man kaum Menschen mit Maske auf dem Gelände, die Stimmung war durchweg ausgelassen und das Wetter spielte auch (größtenteils) mit – von einigen Schauern am Sonntagnachmittag ließen sich weder die Ringrocker noch die Bands abschrecken: Gavin Rossdale von Bush drehte sogar eine Ehrenrunde durchs Publikum bei Regen und Sturmböen, was die Fans sichtlich begeisterte.
Nicht nur die Besucher:innen waren höchst beglückt, endlich wieder Livemusik und Festivalflair zu erleben, auch die Künstler:innen bekundeten durch die Bank ihre Liebe für’s Publikum. Nach zwei Jahren Zwangspause hatten Bands wie Placebo, Korn, Deftones, Bullet for my Valentine, Mastodon und Billy Talent (um nur eine kleine Auswahl zu nennen) einfach richtig Bock, und das hat man auch gespürt: die Atmosphäre war durchweg liebevoll, und das freudige Miteinander-Feiern stand für alle im Mittelpunkt. Philip (30) aus Hessen war zum ersten Mal auf Rock am Ring und fand es „einfach genial. Das Festival ist absolute Oberklasse, sei es im Hinblick auf das Line-Up, die Stimmung oder das Umfeld, inklusive Shopping im Lidl-Rockstore. So aus den letzten 2,5 Jahren zurück zur Live -Musik zu kommen ist einfach toll. Ich werde definitiv wieder kommen!“
Für Christian (38), seines Zeichens passionierter Festivalgänger und Ringrocker, waren die Donots „der beste Opener, den man sich vorstellen kann.“ Dass Die Toten Hosen noch als Überraschungsgäste aufliefen, setzte dem fulminanten Start des Festivals natürlich die Krone auf. Die technischen Probleme bei Green Day – immer wieder fielen die hinteren Boxen aus, so dass die Menge nichts hörte – wurden von der explosiven Show Scooters wieder gut gemacht. H. P. lief stilecht im Iron-Maiden-Shirt auf, und die Menge grölte und tanzte bei seinen Technohits mit, was das Zeug hielt. Am Samstag waren Bands wie Placebo und Deftones ein richtiges Highlight: deren Shows strotzten nur so vor Energie, obwohl Frontmänner Brian Molko (diesmal mit Schnurrbart und Jesusfrisur) und Chino Moreno auch bereits stramm auf die 50 zugehen. Samstagsheadliner MUSE lieferten eine gewohnt beeindruckende Bühnenshow ab, wobei Matt Bellamy gesanglich nicht ganz auf der Höhe zu sein schien. Am Sonntag trotzten die Bands den anfänglichen Schauern und Wind, und Bullet for my Valentine und Korn heizten der Menge vor der Utopia Stage ordentlich ein; überraschend sympathisch präsentierte sich Billy Talent: Die Kanadier waren die letzte Band des Abends und bespielten die Mandora Stage bis nach Mitternacht, und performten sogar ein Cover von „Everlong – die Foo Fighters seien nämlich eine der Bands, so Sänger Ben Kowalewicz, ohne die es Billy Talent gar nicht gäbe. Allerdings musste die Band immer wieder darum bitten, dass alle Besucher:innen einen Schritt zurücktreten sollten – durch das frühzeitige Absperren des Festivalbereichs an der Utopia Stage wurden alle noch anwesenden Fans zur verbleibenden Bühne gedrängt, was zu einer deutlichen Überfüllung und Drängelei führte. Der Atmosphäre schien dies jedoch nicht zu schaden.
Für Rocker Christian war die diesjährige Ausgabe von Rock am Ring womöglich seine letzte: „Es ist natürlich alles persönlicher Geschmack,“ erklärt er, „aber es heißt eben Rock am Ring – gefühlt gibt es jedoch nur noch Techno- und HipHop-Stände. Es gibt hunderte Boxen, auf denen nur noch Techno läuft. Die Musikauswahl ist, auch was die ganzen Bands angeht, recht dürftig. Das Line-Up von Rock am Ring wird leider jedes Jahr schlechter, zumindest für eingefleischte Rock- und Metalfans; diesmal habe ich gar keine Headliner geschaut, die Auswahl war einfach eher mäßig.“
Die Hoffnung bleibt bestehen, dass unter dem neuen Management von DreamHaus eine Rückkehr zu einem eher rock- und metallastigen Line-Up zu erwarten ist – die nächste Ausgabe von Rock am Ring wird vom 02. bis 04. Juni 2023 am Nürburgring stattfinden.
Sandra Aline Wagner