Marie (Nina Sepeur), Elisabeth (Hannah Neumann) © Tobias Gölzer
Sie war eine Frau aus dem Arbeitermilieu, eine Pionierin der Frauenrechte und lebenslang eine Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen, für Gerechtigkeit und Solidarität. Zum 150-jährigen Geburtstag von Marie Juchacz (1879-1956) hat die saarländische Arbeiterwohlfahrt verdienstvollerweise ein Musical in Auftrag gegeben, um die vorbildliche Lebensleistung ihrer Gründerin zu würdigen.
Holger Hauer (Buch und Songtexte), Francesco Cottone und Amby Schillo (Musik), Jochen Maas (Bühnenbild), Ellen Kärcher (Kostüme sowie künstlerische Leitung und Choreographie) und Matthias Stockinger (Regie) haben die Herausforderung angenommen und am vergangenen Freitag mit dem famosen Neunkircher Ensemble das Musical in der Neuen Gebläsehalle zur Ur-Aufführung gebracht.
Holger Hauers Plot spielt im Nähatelier des Unternehmers Lehmberger, der die kaiserliche Armee mit Uniformen beliefert und zahlreiche Frauen beschäftigt – unter erbärmlichen Bedingungen mit mehr als 50 Stunden Wochenarbeitszeit und äußerst niedrigen Löhnen. Dagegen wehrt sich die von Nina Sapeur verkörperte Marie Juchacz. Sie diskutiert mit den Näherinnen und agitiert sie. Immer wieder interveniert Sie bei dem uneinsichtigen Chef (lässig bis zynisch: Marc Schweig) und seiner Gattin (elegant und herablassend: Solveig Bronder). Beide lehnen jegliche Zugeständnisse strikt ab – und leben selbst in Saus und Braus!
Aber Marie begnügt sich nicht mit ihrem Engagement im Nähatelier, sie organisiert Treffen mit Gleichgesinnten, setzt sich an die Spitze von Kundgebungen und krönt ihr Lebenswerk mit der Gründung der Arbeiterwohlfahrt, die Sie zu einer wichtigen und mitgliederstarken Organisation für die Stärkung der Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung und deren soziale Belange ausbaut. Marie Juchacz setzt sich beharrlich für die Rechte der Frauen ein und schafft es gemeinsam mit ihrer mutigen jüngeren Schwester Elisabeth (Hannah Neumann) und anderen Mitstreiterinnen das Frauenwahlrecht für die Nationalversammlung durchzusetzen. Höhepunkt des Musicals ist der Song, in dem es um ihre erste Rede und zugleich die erste Rede einer Frau in der Nationalversammlung geht.
Dieses neue Musicalprojekt „Meine Herren und Damen: Marie!“ Ist alles in allem sehr ansprechend gelungen. Das gilt für die schmissige und mitreißende Musik und die Songs, die teils im Marschrhythmus à la Brecht/weil pulsieren und andernteils poppig bis jazzig daher kommen. Bühnenbild und Kostüme (Jochen Maas) sind in strengem schwarz und Weiß gehalten, ein etwas plakativer Ansatz zur Darstellung der gesellschaftlichen Gegensätze von oben und unten.
Die Inszenierung glänzt mit hinreißenden Massenszenen, die von dem engagierten Amateurensemble nahezu professionell mit viel Verve und Begeisterung gestemmt werden. Kleine Unstimmigkeiten mögen noch dem Premierenlampenfieber geschuldet sein. Das gilt auch für die Solopartien, die überwiegend gut gecastet sind und durchweg überzeugen.
Nina Sapeur gibt die Titelfigur als warmherzige Frau, die sich mit Herz, Mut und Verstand ins Getümmel stürzt und mit dem gesanglichen Vortrag ihrer Rede vor der Nationalversammlung den Höhepunkt setzt und vom Publikum begeistert gefeiert wird. Auch Hannah Neumann überzeugt als bravouröse Kämpferin, die sich auch nicht von ihrem plump-brutalen Mann Karl (treffend: Tobias Sascha Schmitt) ausbremsen lässt, für den die Frauen an den Herd gehören und der gerne auch mal mit anderen anbändelt.
Die Vorstellung endet mit lang anhaltendem Beifall und stehenden Ovationen. Ein geglückter Abend.
Kurt Bohr