(red.) Die Landauer Poetik Dozentur der Universität Koblenz-Landau geht im Sommersemester an
das Theaterduo Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura. In Kooperation mit dem
Staatstheater Mainz verleiht das Zentrum für Kultur- und Wissensdialog die Auszeichnung an
die beiden Kulturschaffenden, die neue Maßstäbe im Dokumentartheater gesetzt haben.
2000 Seiten Lektüre gehören für Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura zur Standard-
Vorbereitung. Wenn die beiden Künstler ein neues Theaterprojekt angehen, wühlen sie sich
erst einmal durch Berge von Archivmaterial. „Ein halbes bis zu einem Jahr Lebenszeit geht
locker drauf für eine Produktion“, erzählt Hans-Werner Kroesinger. Die kleine coronakonforme
Gruppe von Studierenden des Studiengangs Darstellendes Spiel des ZKW hört
gespannt im großen, gut gelüfteten Audimax der Universität Koblenz-Landau, Campus
Landau, zu. Als angehende Lehrer*innen werden sie das künstlerische Fach an Schulen
unterrichten. Sofort meldet sich einer von ihnen zu Wort: „So viel Zeit sieht der Lehrplan für
ein Theaterprojekt nicht vor, gerade mal zwei Stunden Unterricht sind pro Woche üblich.“
Kroesinger macht Mut, „man darf nicht an ein Dokumentartheaterstück mit der Vorgabe
herangehen, einen gefälligen Theaterabend zu realisieren – wenn es fragmentarisch bleibt,
ist das auch ok.“
Überhaupt, mit einem „gefälligen“ Theaterabend haben Regine Duras und Hans-Werner
Kroesingers Produktionen wenig zu tun. Das Theaterduo macht Dokumentartheater, das die
Bühne als „Analyse-Instrument“ versteht. Ihr Theaterschaffen ist politisch und
gesellschaftskritisch. Seit über 20 Jahren legen sie die Gewaltgeschichten der Gesellschaft
offen, sie mischen sich ein, decken auf, provozieren und regen so Diskussionen an. „Wir sind
sehr stolz, dass wir die Poetik Dozentur im Sommersemester 2021 trotz der Pandemie an
zwei solche Ausnahmekünstler verleihen dürfen“, sagt die Leiterin des ZKW Prof. Dr. Anja
Ohmer.
Ohne zu werten, beleuchten sie das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln und Texten,
die sich gegenseitig kommentieren. Sie durchleuchten Krisen von heute, die die Zukunft
beeinflussen werden oder beschäftigen sich mit Konflikten der Vergangenheit, die in der
Gegenwart Wunden hinterlassen. Passend hierzu arbeiten Kroesinger und Dura gerade im
Auftrag des Staatstheaters Mainz den Mythos rund um den Westwall auf. Das ca. 630 km
lange militärische Verteidigungssystem, das in den Jahren 1936 bis 1940 errichtet wurde und
die Westgrenze des damaligen Deutschen Reiches sichern sollte, „ist eine Narbe in der
Landschaft, die die Nazis hinterlassen haben“, erklärt Kroesinger. Gerade arbeiten sie sich
mit viel Beharrlichkeit und Geduld durch das schmutzige Gedankengut von NS-Texten, die
den Westwall oder wie die Nazis ihn nannten die „Siegfried-Linie“, zu einem mächtigen
Bollwerk gegenüber allem Fremden erklärten.
Weder den beiden Theatermacher*innen noch den Schauspieler*innen fällt diese Arbeit
leicht. „Es braucht viel Sitzfleisch“, sagt Kroesinger und „die Texte zermartern einem das
Hirn“, ergänzt Dura. Neben dem Sichten von schier überwältigendem Archivmaterial, das sie
gemeinsam in den Proben mit den Schauspieler*innen des Staatstheaters lesen, führen die
beiden auch viele Interviews mit Zeitzeugen. Die Studierenden zeigen sich beeindruckt und
gleichzeitig besorgt. Als angehende Lehrer*innen lernen sie früh ihre mentale Gesundheit zu
stärken und zu schützen. Dazu steht das exzessive Lesen und Ordnen von
menschenverachtenden Zeugnissen der Nazis im krassen Gegensatz. Kroesinger antwortet
pragmatisch: „Irgendeiner muss es ja tun.“
Am 12. Juni hat das Recherchieren und Proben ein Ende. Der Vorhang des Staatstheater
Mainz soll sich, sofern es die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zulassen, zur
Premiere des Stücks „Westwall“ endlich wieder öffnen. Dann, so erklärt das Theaterduo den
Studierenden, „sollen die Worte zum Tanzen gebracht werden – aus bloßen Akten wird
Poesie.“ Genau das macht für die beiden die Faszination und die große Chance des
Dokumentartheaters aus. Das Stück soll irritieren, konfrontieren und somit Fragen stellen.
Die Studierenden des Studiengangs Darstellendes Spiel des ZKW nehmen die
Herausforderung im Rahmen der Landauer Poetik Dozentur der Universität Koblenz-Landau
gerne an. Die Sitzplätze sind schon gesichert und im Frühjahr 2022 kommt das Stück als
Gastspiel in Landau im Rahmen der Poetik Dozentur von Regine Dura und Hans-Werner
Kroesinger auf die Bühne.
Bisherige Poetik-Dozent*innen in Landau waren Nora und Eugen Gomringer, Theresia
Walser und Karl-Heinz Ott, Thomas Brussig und Christoph Siemes, Tom Buhrow, Sabine
Stamer und Abbas Khider, Daniel Kehlmann, Thomas Wendrich, Er ic-Emmanuel Schmitt,
Sibylle Lewitscharoff, Rafik Schami, Judith Holofernes, FC Delius, Sebastian Fitzek und Claus
Peymann. Weitere Informationen zur Landauer Poetik-Dozentur unter www.zkw.unilandau.
de
Hinweis: Die SWR Sendung im Rahmen der Poetik Dozentur an Kroesinger und Dura wird am
03.07.2021 ausgestrahlt. Die beiden Kulturschaffenden werden im Gespräch mit SWRRedakteurin
Silke Arning sein.
Weitere Informationen zur Produktion finden Sie auf: www.staatstheater-mainz.com