Spielfigur aus Fortnite (c) Whelsko, flickr.com
Es gibt Trends, die in einer Parallelwelt stattfinden, wie Nebelleuchten immer mal wieder in der alltäglichen Erwachsenenwelt aufscheinen und alle nicht Eingeweihten – in der Regel Menschen über 30 – unwissend zurücklassen. So ein Trend ist das Computerspiel „Fortnite“.
Wenn mein Patenkind Tobias nach Hausaufgaben und Sport in seinem Zimmer verschwindet, dann geht’s rein in eine andere Welt: Der 13-Jährige Saarländer spielt „Fortnite“. Eigentlich ein Online-Shooter im Battle-Royale-Modus: Jeder Spieler kämpft gegen jeden und am Ende bleibt einer übrig. Durch die poppig-bunte Aufmachung des Spiels und die zusätzliche Herausforderung, auch Gebäude zu errichten, um sich und sein Team zu schützen, bekommt das Ganze aber irgendwie eine sinnvolle Komponente und sieht auch noch freundlich aus. Deshalb ist das Spiel auch schon für Zwölfjährige freigegeben. Weltweit gibt es mehrere Millionen Mitspieler.
Wenn man von vorne anfängt, sei nur ein Tanz freigeschaltet, erklärt mir Tobias. „Tänze?“ – frage ich und werde als Tanzlehrerin hellhörig. Mein Patenkind interessiert sich fürs Tanzen? Tobias erklärt mir, dass in der Spielwelt und je nach Level verschiedene Tanzmoves freigeschaltet werden, die die Spielfigur dann ausführen kann. Bei Youtube gibt es eine Zusammenfassung: Elf Minuten lang zeigen da verschiedene Spielcharaktere die unterschiedlichsten Mini-Tänze: „Disco Fever“ erinnert doch stark an John Travolta. Es gibt aber auch ganz neue Bewegungen wie „The Floss“, ein Move, der aussieht, als würde man seine Zähne mit Zahnseide säubern und ursprünglich von „The Backpack Kid“ kommt, der 2017 mit Katy Perry gemeinsam auftrat.
Also Tanzmoves werden interessant, weil sie in einem Ego-Shooter vorkommen? Der Kulturwissenschaftler und Games-Experte Christian Huberts stellt in einem Beitrag von den Kollegen von Deutschlandfunk Kultur* zunächst mal nichts Ungewöhnliches daran fest, dass bestimmte Popkultur-Phänomene im Alltag auftauchen, aber: „In diesem Ausmaß wie bei ‚Fortnite’ ist es schon sehr ungewöhnlich, dass ein Element eines Computerspiels so sichtbar wird und auf so vielen Ebenen im Alltag auftaucht.“ Zum Beispiel bei Fußballern, die Siegertänze aus dem Spiel während des Torjubels aufführen. Oder in Tanzschulen, die die Moves in ihre Hip-Hop-Kurse mit einfließen lassen. Tobias ist nun wieder in der Parallelwelt verschwunden, er hat lange genug mit seiner Patentante gequatscht…
Sarah Engels im OPUS Kulturmagazin 76 (November / Dezember 2019) auf S. 96. Weitere Beiträge zu den Themen Gaming, Nightlife und Popkultur finden Sie in der Rubrik „popKult“.
* Beitrag vom 21.07.2018 in Deutschlandfunk Kultur – Echtzeit: „Der Tanz, der aus dem Computer kam“ von Mike Herbstreuth