Nicola Strada, Zara Beattie in Bella Figura © Bettina Stöß
Bella Figura ist der Titel des neuen dreiteiligen Ballettabends des saarländischen Staatstheaters, der am 29. Oktober im großen Haus Premiere hatte und mit der gleichnamigen Choreografie von Jiřy Kyliàn startete. Dieser herausragende Protagonist des Internationalen Tanztheaters, der auch Stijn Celis als Tänzer ausgebildet und sein künstlerisches Weltbild als Choreograf geprägt hat, stellt zum Einstieg mit Bella Figura hohe Anforderungen an das tänzerische Können, die Bewegungs- und die Stilsicherheit der Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne stellt. Es ist eine „Reise durch Zeit und Raum als Parabel der Relativität von Sinnlichkeit, Schönheit und Ästhetik“, wie es im Programmheft heißt. „Der Tänzer muss immer“, wie Kyliàn im Interview betont, bella figura machen, ganz egal wie er sich gerade fühlt. Außergewöhnlich ist, dass die Tänzerinnen und Tänzer schon auf der Bühne versammelt sind, wenn das Publikum den Theaterraum betritt und die Plätze einnimmt. Sie bereiten sich mit Konzentration auf den Beginn des Tanzstücks vor, üben Bewegungsabläufe ein. Die Choreografie von Jiřy Kyliàn und der perfekten Einstudierung von Ken Ossola und Elke Scheepers wird mit einer Reihe von eindrucksvollen Pas de deux, vielen Hebungen und harmonischen Ensembledarbietungen, die auch – passend zu den Musikstücken meist barocken Ursprungs – menuettartige Bewegungen bieten und den Titel Bella Figura überzeugend unterstreichen. Das wie immer glänzend disponierte saarländische Staatsballett bietet eine tadellose Perfomance, wunderbar anzuschauen, makellos, schiere Eleganz. Langer Beifall.
Es folgt das zweite relativ kurze Stück Faun(e) in Choreografie und Bühnenbild von David Dawson, der in Saarbrücken kein Unbekannter ist und schon früher von Stijn Celis präsentiert wurde. Er hat sich von Waslaw Nijinskys berühmtem Ballett „L’après-midi d’un faune“ und den Metamorphosen des Ovid inspirieren lassen. Er will erotischem Begehren und Instinkten nachspüren und präsentiert in seinem Stück die Begegnung zweier Männer. Einer der beiden (Kylie Davis) steht vor dem Einsetzen der Musik allein auf der Bühne, wirkt introvertiert und scheint sich auf seinen Auftritt vorzubereiten. Beim ersten Ton aus Claude Debussy‘s packendem Werk À l‘après-midi d‘un faune – hier in der im Vergleich zur romantischeren Orchesterfassung in der etwas raueren und intimeren Klavierfassung – steht er ruckartig still, wirkt wie gebannt und beginnt dann – ganz eins mit der Musik – zunächst alleine zu tanzen. Kurz danach betritt ein zweiter Tänzer (Shawn Throop) die Bühne. Die beiden umkreisen sich, kommen sich immer näher – man spürt förmlich die erotische Faszination – um dennoch sachte wieder voneinander zu lassen. Das ist ein überaus dichtes und eindrucksvolles Zusammentreffen, das auch dank der emotional anrührenden Musik im Gedächtnis bleibt. Empathischer Beifall, Bravorufe.
Schließlich Antikthon, die Uraufführung der neuen Choreografie von Stijn Celis: der absolute Höhepunkt des Abends. Der Saarbrücker Ballettchef hat einen Glücksgriff getan und die von George Balanchine bei Iannis Xenakis, dem weltberühmten griechisch-stämmigen Komponisten, in Auftrag gegebene Ballettmusik für seine jüngste Produktion ausgewählt. Geradezu kongenial zur Musik hat er seine Choreografie umgesetzt. Die Tanztruppe bewegt sich absolut kongruent und stimmig zu der lebhaften Musik von Xenakis, schöpft weidlich die ganze Skala der Gefühle aus: von Schmerz und Trauer über Erregung bis zu Freude und Begeisterung. In rasch wechselnden Auftritten solistisch, in Paaren und in Gruppen, verkörpert und interpretiert das Tanzensemble von Stijn Celis diese Musik in höchster Perfektion. Die für diesen Auftritt idealen Kostüme in abstrakter Gestaltung hat Claudia Vogel, das Bühnenbild mit wechselnden großflächigen einfühlsamen sehr gelungenen Farbfeldern, die sanft hinter- und übereinander geschoben werden, hat Dirk Rausch geschaffen. Beide sind Absolventen der Saarbrücker Hochschule der Bildenden Künste. Sie kontrastieren mit ihrer betont zurückhaltenden Gestaltungsarbeit das turbulente Geschehen auf der Bühne. Es ist vielleicht die beste Arbeit, die Stijn Celis für Saarbrücken auf die Bühne gebracht hat, in jedem Fall aber ein echter Höhepunkt seines Schaffens.
Begeisterter Beifall, viele Vorhänge und zahlreiche Bravorufe krönen diesen eindrucksvollen Theaterabend.
Kurt Bohr