
Zurück zu den eigenen Wurzeln
Der aus Syrien geflüchtete Choreograf und Tänzer Saeed Hani, der heute in Trier lebt, ist inzwischen international gefragt. Als Beitrag zum Begleitprogramm der endenden Marc Aurel Ausstellung feierte jetzt seine neue Choreografie „Unveiling the Abstract“ in Trier Premiere. Ein packender, bisweilen mystischer Abend!
Von Eva-Maria Reuther
Die Bühne liegt im Dämmerlicht. Am Boden hockt eine in ein weißes Gewand gehüllte Gestalt. Hinter ihr erhebt sich eine raumhohe weiße Wand, deren rechteckige Aussparungen schwarzen Fenstern gleichen, hinter denen sich Unbekanntes verbirgt. Später, wenn sich der Bühnenraum erhellt, wird sich herausstellen, dass die vermeintlichen Fenster in Wirklichkeit orientalische Teppiche sind. Traumverlorene erklingt orientalische Musik. Langsam erhebt sich die kleine Gestalt. Schneller und schneller beginnt sie sich zu drehen. Es ist ein Derwisch aus der islamischen Glaubensgemeinschaft der Sufi, die zu Nächstenliebe, friedlichem Zusammenleben und Bescheidenheit aufruft. Ein Tanz zwischen Himmel und Erde beginnt, in dessen Ekstase sich der Tänzer Gott zu nähern sucht. Geradezu mystisch beginnt die neue Choreografie der „Mouvement Art“ von Saeed Hani, für die der inzwischen internationalgefragte Choreograf auch Konzept, Bühnen- und Kostümbild verantwortet (Musik: Jakob Schumo), und die an diesem Abend in der Europahalle in Trier Premiere feiert. „Unveiling the Abstract“ heißt die Produktion, die als Beitrag zum Begleitprogramms der Marc Aurel Ausstellung entstand. Der aus Syrien stammende Choreograf und Tänzer nimmt die berühmten „Selbstbetrachtungen“ des Kaisers zum Anlass, um das eigene Selbst zu reflektieren. „Das Abstrakte enthüllen“ (so die wörtliche Übersetzung des Titels) will der Choreograf. Was aber ist dieses Abstrakte? Hani öffnet die Black Box der Seele, übersetzt das unbewusst Bewusste in Bewegung und eindrucksvolle Bilder. Der Orientteppich wird dabei zum Sinnbild orientalischer Kultur. Hani ist seit jeher ein Poet der Bewegung. Ausdruckstark und mitreißend veräußert das fabelhafte, fünfköpfige internationale Tanzensemble, was hier an geistigen und seelischen Energien verhandelt wird. Es geht um kulturelle Prägung, um Seelenleben, das Trauma des Krieges, um Liebe und Sexualität, um Sehnsucht und das Dämmerlicht der Erinnerung. Als Kriegsflüchtling war Saeed Hani vor Jahren nach Europa und Trier gekommen. Inzwischen besitzt er einen deutschen Pass. „Ich habe immer europäisch sein wollen“, hat er unlängst in einem Gespräch gesagt, „aber ich bin arabisch“. Hanis Choreografie ist somit nicht nur Rückschau, sondern auch Ausdruck der eigenen Emanzipation. Wenn der Derwisch verschwunden ist, tauchen auf der hell erleuchteten Bühne hinter den nunmehr sichtbaren Teppichen menschliche Köpfe und nackte Gliedmaßen auf, nähern sich einander und fassen sich an den Händen. Eine menschliche Gemeinschaft, die in die vielfältige und vielfarbige Kultur des Orients geboren wurde, die sich in der Zeichensprache der Orientteppiche und ihrer Bilderzählungen darstellt. Hani verklärt die eigene Kultur nicht. Was er erzählt, sind keine naiv romantischen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Wenn sich die Tanzenden zwischen den Teppichwänden winden und sich zu befreien suchen, wird die Kultur, die doch Heimat ist, mit ihren Normen zum Gefängnis und Bedrängnis, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Und wenn später ein nackter Männerkörper am Teppichkreuz hängt, ist das nicht nur eine Referenz an die eigene Religionszugehörigkeit, sondern auch ein unmissverständlicher Protest gegen die Verfolgung der christlichen Minderheit Syriens, aus der Hani stammt. Jäh unterbrochen wird die gefühlvolle Musik, in der ewige Sehnsucht klingt, von Kriegslärm, jenem unheilvollen Getöse, in dem Vernichtung und Vertreibung klingt. Der Schrecken des Krieges, der seit Jahren Leben und Kultur des Vorderen Orients bedroht, findet bewegend Ausdruck im stummen Schrei der Tanzenden und ihren verwundenen Körper. Anders als in der modernen westlichen Welt ist in der arabischen Kultur selbstbestimmte sexuelle Orientierung nicht möglich und Homosexualität verboten. Auch da setzt Hanis Choreografie ein klares Zeichen. Selbstbewusst und widerständig stehen die gleichgeschlechtlichen Paare in ihrer Nacktheit auf dem ausgerollten Orientteppich. Man kann Saeed Hanis neue Choreografie auch als Entkolonialisierung der eigenen Person deuten. Aber es ist keine feindselige Befreiung, keine, die neuen Gräben aushebt und neue Fronten schafft. Es ist eine Befreiung, in der die arabische und europäische Kultur einander auf Augenhöhe begegnen. Aus Europa kommen schließlich (abgesehen vom Derwisch-Tanz) die Bewegungssprache, die Nacktheit der Körper als Ausdruck menschlicher Autonomie, ebenso die Zitate europäischer Kunstwerke. Wenn sich die Zeigefinger und Hände der Tanzenden einander nähern, denkt man augenblicklich an Michelangelos Werk „Erschaffung der Welt“, beim Schrei an Francisco Goyas schmerzverzerrte offene Münder. Manche von Hanis Gruppenbildern erinnern an bildhauersehe Vorbilder der europäischen Kunstgeschichte. Überhaupt sind Hanis tanzende Körper nicht nur Ausdruck inhaltlicher Auseinandersetzung. Sie sind stets auch skulpturale gestaltete Form, die den Choreografen zum Bildhauer mittels der Bewegung macht. Dass Ost und West nicht zu trennen sind, wusste im übrigen schon Goethe, der seinen West-Östlichen Diwan nach dem „Diwan“ des sufistischen Dichters Hafis benannte. In Hanis Begegnung mit Europa und Mark Aurel stellt sich dar, was der syrische Dichter Adonis so formulierte: „Ich bin dir begegnet und habe mich gefunden“. Standing Ovations und langer begeisterter Applaus!
Titelbild: Szene aus „Unveiling The Abstract“ von Saeed Hani © Blackgate Media



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