
Titelbild: Gewaltig dank Sprache! „See aus Asche“ vor dem Wormser Kaiserdom bei den diesjährigen Nibelungenfestspielen. © David Baltzer, Nibelungenfestspiele Worms
von: Burkhard Jellonnek
600 Tonnen Kies, zu zwei großen Bergen aufgeschüttet und dazwischen ein kleiner See. Und eine Hundertschaft weißer Plastikstühle, immer wieder neu platziert. Mehr braucht Regisseurin Mina Salehpour nicht, um die 23. Nibelungenfestspiele mit dem uraufzuführenden Bühnentext des Erfolgs-Autors Roland Schimmelpfennig zu einem sprachgewaltigen Gedankenspiel anzurichten. Diesmal also nicht das eventgesteuerte Spektakel mit mächtigen Videobildern auf der Bühne, Schlachtenlärm und Waffengänge vor dem Wormser Dom, sondern das mit jeden Wort, mit jedem Satz spürbare Vertrauen auf einen der wortmächtigsten Literaten deutscher Zunge. Der mit Literaturpreisen und Stücke-Aufführungen hochdekorierte Roland Schimmelpfennig schreibt tatsächlich einen Wiedergänger des Nibelungenliedes, ohne aber der Gefahr zu unterIiegen, einen Historienschinken oder ein billiges Remake abzuliefern. Sein Text, seine Figuren kommentieren die Handlungen gern aus der Berichterstatter-Perspektive, verwenden statt der Ich-Form gern das distanziertere Er. Die Figuren, ganz besonders die männlichen, sind Getriebene der Macht und bisweilen auch ihrer Lüste, wenn sich etwa Siegfried mit der Nebelkappe zur Vergewaltigung Brunhilds (grandios: Jasmin Tabatabai) hinreissen lässt. Mit diesen toxischen Exzessen aber nicht genug! Die von ihren Wiener Burgtheater-Inszenierungen geschätzte Regisseurin Mina Salehpour beläßt es nicht bei der MeToo-Kritik, sondern bringt in Schimmelpfennigs Vorlage auch das Versagen nicht nur der Männer beim Umgang mit der Natur zum Vorschein. Beim Aufstieg auf die Halden auf Kies rutschen Gunter, Hagen und Siegfried hier als allegorische Sissyphos-Arbeiter immer wieder zurück nach unten. Und musste nicht schon vor Stückbeginn der „Tatort“ – bekannte Wolfram Koch als verschlagener, mephistophelischer Hagen von Tronje nicht schon das Bühnenbild zurecht schaufeln? Bilder einer Aufführung, die keine Technik oder digitales Aufpeppen brauchen, sondern in den Köpfen der Zuschauenden bleiben. Am Ende wurden Ensemble und Regie ausgiebig vom Publikum gefeiert, selten war man sich in Worms bei dem u.a. von Mario Adorf angeregten Nibelungenfestspielen in der aktuellen Intendanz von Filmproduzent Nico Hofmann so einig. Für die insgesamt 16 Abende gibt es allenfalls noch Restkarten!
Bis 27. Juli 2025, Restkarten und alle weiteren Informationen:


