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MeToo und der zerbrochene Krug

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Überall Braunschweiger: Noch kann Dorfrichter Adam (Raimund Widra) den Gerichtsrat Walter (Christiane Motter) mit Rotwein in Schach halten. © Martin Sigmund, Saarländisches Staatstheater

 

Selten hat die „Braunschweiger“, eine bis auf den heutigen Tag beliebte lachsrote Streichwurst, eine solch bühnenprägende Strahlkraft gehabt: Die Tagesproduktion einer Wurstfabrik hat Bühnenbildnerin Julia Nussbaumer zu einem veritablem Hindernisparcours samt Rutschbahn statt eines Gerichtssaales auf schwarz-weiß gemusterten Boden. Weg von dem hinterwäldlerischen Provinzmief mit gackernden Hühnern und aufgeworfenem Stroh, in der sich Heinrich von Kleist in seiner über 200 Jahre alten Vorlage noch suhlte. Weg auch mit den Insignien der Justizwelt, her mit knatschbunten und stets nicht auf den Leib geschneiderten Kostümen, buchstäblich maximal weit von den verstaubten Welt des Autors entfernt.

Des Dorfrichters Welt mit seiner Maxime „Wer gut schmiert, der gut fährt,“ sich also mit Wein und Wurst die Lebensumstände gut einzurichten, ist an diesem Tag mit dem ankündigten Besuch des Gerichtsrats Walter aus den gewohnten Bahnen geraten. Regisseurin Pia Walter macht nicht viel Federlesens mit verstaubter Aktenführung, interessiert sich nur am Rande für den Gerichtsfall um den zerbrochenen Krug und seine Wertigkeit. Sie interessiert, ob hinter des Dorfrichters nächtlichem Ausflug am Ende nicht doch ein veritabler Me-Too-Fall als Hintergrund steckt, weil Dorfrichter Adam seine Finger in deren Schlafzimmer nicht von der jungen Eve (Anna Jörgens) lassen konnte. Für derlei Liebesdienste sollte ihr Freund Ruprecht (Jonathan Lutz) vor einem gefährlichen militärischen Einsatz in fernen Ländern befreit werden. Doch partout wollte keiner der geladenen Zeugen mit der Wahrheit herausrücken, wer tatsächlich als nächtlicher Übeltäter hinter dem zerbrochenen Krug steckte. Dorfrichter Adam (Raimund Widra) redet sich um Kopf und Kragen, bietet sein gesamtes Repertoire an körperlicher Geschmeidigkeit auf, um sich nicht in den Fallstricken zu verheddern. Gerichtsrat Walter aber, aalglatt und kompetent gespielt von Christiane Motter, durchschaut Lügengebäude und Schmierentheater des Dorfrichters, drückt ihm buchstäblich mit ihren Beinen wie mit einer Kneifzange die Luft ab und stopft ihm das geschwätzige Maul. Doch so kurz die Beine der Lügen auch sind, um der Ordnung willen lässt der Revisor den gestrauchelten Amtsrichter nicht untergehen. Denn das ist Pia Richters bittere Erkenntnis: Damals wie heute ist die Luft sehr dünn, um derlei Vorfälle sexualisierter Gewalt zu überführen. Am Ende bleibt Marthe Rull (mit der nötigen Behäbigkeit gespielt von Martina Struppek) nichts anderes übrig, als an einem höheren Gerichtsort für ihren zerstörten Krug zu streiten. Man darf bezweifeln, dass dort ihre Tochter Eve nochmals aussagen wird.

Burkhard Jellonnek

 

weitere Informationen: staatstheater.saarland

Filed Under: Kritik

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