Balletauführung Sound and Vision © Saarländisches Staatstheater. Foto Simon Stenger
Die Premiere von Stijn Celis’ Ballett “Sound & Vision” war restlos ausverkauft. Dennoch kommt man sich als Zuschauender dieser Tage in den gemäß den Pandemie-Auflagen spärlich besetzten Reihen fast ein bisschen einsam vor. Man erkennt sich nicht mehr unmittelbar als Teil der Publikums-Gemeinschaft, sondern wird auf den eigenen Subjekt-Status zurückgeworfen. Ein Zustand, der sich auch auf der Bühne fortschreibt. Denn freilich gelten die Abstandsgebote auch dort. Wie eine Bedrohung für den Bühnentanz muss einem das zunächst vorkommen, schöpft sich dessen Kraft doch vor allem aus intensiver Sensualität und dem Dialog zwischen Körpern.
Doch Stijn Celis macht aus der Not eine Tugend, erklärt die 16 Quadratmeter – das ist der Raum, in dem sich nach Abstandsgebot jeweils ein Tanzender bewegen darf – zum Versuchslabor, indem sich den Tanzenden gerade durch die Einsamkeit genügend Raum bietet, sich im Inneren durch die äußere Form zu erkunden. Dabei dürfen sich die vielschichtigen Emotionen ganz frei und ungezähmt in die tanzenden Körper einschreiben – mal im Solo, mal in kleineren Formationen ohne Körperkontakt. Zur Musik von David Bowie, Édith Piaf und Co. ist der Tanz dabei mal energiegeladen-fröhlich, mal zurückhaltend-melancholisch, bisweilen sogar trotzig und frech. Mal ist er inspiriert vom Vogue, mal vom Stampfen in Clubs, mal vom Stepptanz. Immer aber kommt der Tanz einem organisch, ganz nah und vertraut vor, gerade eben weil die ihn leitenden Gefühle nicht aus einer Geschichte entstehen, sondern aus den Empfindungen der Kompanie-Mitglieder in der Phase des Lockdowns. Oder eben: Aus dem Dasein als Mensch in dieser Zeit.
Dass diese Inszenierung nicht nur Produkt, sondern auch Verarbeitung der letzten Monate ist, davon zeugen die Homevideos der Tanzenden, die auf die unifarbenen Wände projiziert werden, die im Hintergrund rotieren. Trotz exzellenter Ausstattung durch Laura Theiss: Auf aufwändige Kulissen oder pompöse Kostüme wurde bei “Sound & Vision” gänzlich verzichtet, sodass es keine Ablenkung gibt von dem, was im Fokus steht: Dem Spüren. Wie ein tänzerisches Ausbrechen aus all den Regeln, dem engen Korsett, das dem Menschen bis auf weiteres auferlegt wurde, mutet “Sound & Vision” an. Oder um es mit den Worten von Generalintendant Bodo Busse zu sagen: “Wie ein Befreiungsschlag”.
Isabell Schirra