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Gabriel – Schauspiel von George Sand

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v. l.: HENRI, Christiane Motter als Faustina, Barbara Krzoska als Gabriel, Gaby Pochert als Hauslehrer, Fabian Gröver als Antonio, Jan Hutter als Astolphe © Astrid Karger

Am 11. September ging in der Alten Feuerwache in Saarbrücken das Theaterstück „Gabriel“, eigentlich ein Roman in Dialogen, verfasst von der französischen Schriftstellerin Georges Sand in der Übersetzung von Sébastien Jacobi über die Bühne.

Es ist mehr als erstaunlich, dass sich die französische Literatin schon 1837 eines Themas annimmt, das erst in unseren Tagen ins Zentrum der politischen Diskussion geraten ist. In ihrem Theaterstück geht es um nichts weniger als den individuellen, selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Geschlecht und der sexuellen Ausrichtung – und wie diese manipuliert werden kann.

Die geschlechtlich als Frau geborene Titelfigur Gabriel(le) gerät ins Fadenkreuz der dynastischen Ziele ihres Großvaters, des Prinzen von Bramante, der um jeden Preis verhindern will, dass sein Neffe Astolphe sein dynastischer Erbe wird. Weil nur die männliche Linie in der Erbfolge zählt, überantwortet er seine halbwaise Enkelin (der schwächliche Vater war früh verstorben) in strikter Isolation dem strengen Hauslehrer Marc, in seiner unerbittlichen Konsequenz perfekt dargestellt von Gaby Pochert: In harter Schule soll er sie durch Reiten und Fechten zum Mann umerziehen und ihr die Dominanz vermitteln, die von einem männlichen Adeligen erwartet wird. In einem beeindruckend dargestellten Dialog mit dem machtbesessenen Fürsten, in seiner fordernden Gier und gleichzeitigem Bangen um das Gelingen seines Plans überzeugend dargestellt von Fabian Gröver, meldet der Hauslehrer Vollzug und Auftrag erfüllt. Die Pläne des Alten scheinen aufzugehen. Aber jetzt kommt die gesellschaftskritische Haltung der Autorin George Sand ins Spiel, die dieses Pseudonym anstelle des bürgerlichen Geburtsnamens Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil aus politischen Gründen angenommen hat.

Im Begleittext des Programmhefts von Bettina Schuster-Gäb wird dazu treffend aus dem Buch von Gisela Schlientz „Ich liebe also bin ich. Leben und Werk von George Sand“ (CH. Beck Verlag 1989) zitiert:

„In einer Zeit, in der in ganz Europa reaktionäre auf revolutionäre Kräfte prallten, entwarf George Sand ihre eigene soziale Vision. Sie vertraute auf den Gemeinsinn und die Selbstverantwortung des Menschen. Die Forderung nach gleichen Rechten für Mann und Frau übertrug sie auf das Klassenproblem, auf oben und unten, reich und arm. Sie hatte früh erkannt, dass beide, die Frau und der Proletarier, in einer patriarchalischen Ordnung die Leidtragenden waren.“

Diesem Bilde folgend präsentiert George Sand Gabriel als selbstbewussten jungen Menschen, rational und verantwortungsbewusst. Nachdem sie von ihrem Großvater über dessen Plan informiert worden ist, nimmt sie Kontakt auf mit dem Vetter Astolphe, der Opfer der Intrige ihres Großvaters zu werden droht. Offenbar entspricht dessen Vorgehen nicht ihrem Gerechtigkeitsgefühl, sie möchte vielmehr die langjährige Familienfehde zu Ende bringen. Barbara Krzoska vermag es, die Aufrichtigkeit, die Glaubwürdigkeit und die unverstellte Offenheit dieser Figur sehr glaubwürdig und mit wachsender Empathie darzustellen.

Sie trifft auf einen leichtlebigen, vergnügungssüchtigen jungen Mann, für den sie bald Sympathie empfindet. Im Begleittext des Programmhefts heißt es dann weiter: „Mit ihm erfährt sie das sogenannte Laster und auch bald die Liebe. Es ist ein Erkennen, eine tiefe seelische Verbundenheit die sie bindet“.

Jan Hutter spielt diesen Vetter mit Lust, Verve und Furor, er ist der Star in diesem glänzend besetzten Ensemble.

Die von Gabriel angestrebte Harmonie der Beziehung gerät durch die abschreckende Eifersucht und den geifernden Besitzanspruch von Astolphe total aus der Bahn. Die junge Frau kann irgendwann die Verlustängste, die Wirrnisse, die Desorientiertheit und den mangelnden Respekt ihres Geliebten nicht mehr ertragen. Es kommt zum tragischen Bruch. Ihr Hauslehrer erschießt sie am Ende, für Gabriel die Erlösung.

In der absolut herausragenden Inszenierung, die vom Publikum mit starkem Beifall gefeiert wird, glänzt auch die immer wieder großartige Christiane Motter in verschiedenen Rollen, die sich in die Rahmenhandlung einfügen. Besonders anrührend ihr Auftritt als Mutter von Astolphe, von dem sie sich schmählich hintergangen wähnt.

Für Inszenierung, Bühne und Video zeichnet Sébastien Jacoby verantwortlich, dem auch die gelungene Übertragung aus dem Französischen zu verdanken ist.

Er hat eine abwechslungsreiche Bühne auf zwei Ebenen geschaffen. Erhöht wie auf einem Podest agieren die Protagonisten schlüssig und eindrucksvoll. Mit einem halb durchsichtigen schleierartigen Vorhang wird erwartungsvolle Spannung auf die dahinter schemenhaft sichtbaren Personen erzeugt. Die Vorhänge werden aufgezogen, wenn es zu offener Konfrontation oder zum Dialog kommt. Auf der Normalebene der Vorbühne läuft die Rahmenhandlung ab – mit so manchen dramatischen Höhepunkten, etwa mit einem Mord des launigen Astolphe.

Die musikalische Begleitung hat HENRI besorgt, der nicht nur wunderbar am Klavier intoniert, sondern auch höchst eindrucksvoll und eindringlich selbst komponierte Songs und Chansons interpretiert, die sich ideal mit der Handlung verbinden.

Insgesamt ein grandioser Theaterabend. Mit diesem Stück, aber auch mit vielversprechenden anderen Produktionen in  der angelaufenen Saison zeigt sich die Theaterleitung auf der Höhe der Zeit. So werden aktuelle Themen präsentiert und in historischen Zusammenhängen deutlich gemacht – mit anregenden Impulsen für Diskussionen und weiterführende Gedanken.

Kurt Bohr

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