
Romeo und Julia, Gemälde von Frank Dicksee © Wikimedia
Über unglückliche Paare in der Literatur
von Thomas Wolter
Genuss und Reue – in keinem anderen Lebensbereich sind diese gegensätzlichen Pole so eng miteinander verschlungen wie in der Liebe. In der Literaturgeschichte wimmelt es nur so von tragischen Liebespaaren, die ihre oftmals nur kurz währenden seelischen und körperlichen Wonnen teuer bezahlen mussten. Diese Paare sind häufig durch politische und gesellschaftliche Umstände oder durch äußere Kräfte voneinander getrennt und erleben unüberwindbare Hindernisse, die ihre Liebe unmöglich machen. Zuweilen stehen sie ihrem Glück auch selbst im Wege.
Romeo und Julia, das wohl bekannteste unglückliche Paar der Weltliteratur aus William Shakespeares gleichnamigem Theaterstück, müssen als Angehörige zweier verfeindeter Familien, den Montagues (Romeo) bzw. den Capulets (Julia), ihre Liebe geheim halten und finden am Ende durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen den Tod. In Leonard Bernsteins moderner Musical-Bearbeitung des Stoffes, „West Side Story” (1957), wird der Konflikt der gegnerischen Parteien in der Auseinandersetzung zwischen Puerto-Ricanern und US-Amerikanern auf die ethnische Ebene transponiert. Das Ende der Liebesgeschichte ist aber gleichermaßen tödlich. Der Trojanische Krieg dient als dramatische Kulisse für die Tragikomödie „Troilus und Cressida”, in der Shakespeare ein weiteres Unglückspaar beschreibt, das zwischen die Fronten gerät. Troilus ist der jüngste Sohn des Königs Priamos von Troja, Cressida die Tochter des trojanischen Priesters Kalchas, der auf die gegnerische Seite gewechselt ist, weil er den Untergang Trojas vorhergesehen hat. Inmitten der zerstörerischen Umstände eines zermürbenden Krieges sind es letzten Endes doch eher menschliche Schwächen, die diese Liebe zerbrechen lassen.
Verweilen wir noch ein wenig in der Antike: Im wahrsten Sinne des Wortes „tragisch” verläuft die Liebesgeschichte von Ödipus und Iokaste in dem Drama von Sophokles. Ödipus ist der Sohn des Laios, des Königs von Theben, den er in einem Handgemenge tötet. Später erhält er als Belohnung dafür, dass er Theben von der Sphinx befreit, Iokaste, die Witwe des Königs und damit seine eigene Mutter, zur Ehefrau. Erst später erfährt er, dass Iokaste und Laios seine leiblichen Eltern sind. Wie es von einem Orakel vorausgesagt wurde, beging Ödipus also sowohl Vatermord als auch Inzest. Wenn das mal keine wahre Tragödie ist!
Viele Liebespaare scheitern an gesellschaftlichen Normen
Gesellschaftlichen Zwängen und Tabus fallen auch Liebesglück und Leben von Tristan und Isolde zum Opfer. Die mittelalterliche Legende beschreibt die Geschichte eines Ritters und einer Prinzessin, die sich unsterblich ineinander verlieben. Da Isolde jedoch mit Tristans Onkel verheiratet ist, müssen sie ihre verbotene Liebe im Verborgenen halten. Beide sterben schließlich an gebrochenem Herzen. Emily Brontës Roman „Wuthering Heights” (Sturmhöhe) erzählt die Geschichte von Heathcliff und Catherine, die in ihrer Kindheit eng befreundet sind und sich später ineinander verlieben. Aufgrund ihrer unterschiedlichen sozialen Stellung und der Widerstände ihrer Familien können sie jedoch nicht zusammenfinden. Catherine heiratet einen anderen Mann, während Heathcliff sich aus Verzweiflung selbst zerstört. In Leo Tolstois Roman „Anna Karenina” verliebt sich die verheiratete Anna Karenina in den Grafen Wronski. Die beiden beginnen eine Affäre, die einen gesellschaftlichen Skandal hervorruft und schließlich zum Tod von Anna durch Selbstmord führt. Mit einem Freitod endet auch Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“. Die junge, ein wenig verträumte Emma Rouault heiratet den biederen Landarzt Charles Bovary in der Hoffnung auf ein beschauliches Leben. Schon bald aber nimmt ihr die erdrückende Enge dieser Ehe die Luft zum Atmen. Erst flüchtet sie sich in die berauschende Scheinwelt der Literatur, dann gibt sie den Verheißungen nach, findet aber auch in ihren Abenteuern mit wechselnden Liebhabern nicht, was sie sucht. Ihr Leben gerät völlig aus der Bahn.

Zahlreiche tragische Liebespaare finden sich auch in der Literatur des 20. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Scarlett O’Hara und Rhett Butler in Margaret Mitchells Südstaaten-Klassiker „Vom Winde verweht”, Jay Gatsby und Daisy Buchanan in F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby” oder Michael Berg und Hanna Schmitz in Bernhard Schlinks „Der Vorleser”. Skandalträchtig ist auch das Thema von Vladimir Nabokovs Roman „Lolita”: Es geht um die obsessive pädophile Liebesbeziehung des Ich-Erzählers, des Literaturwissenschaftlers Humbert Humbert, zu der am Anfang ihrer Beziehung zwölfjährigen Dolores Haze, die er Lolita nennt. Beginn und Verlauf seiner einseitigen Leidenschaft, den sexuellen Missbrauch sowie ihre gemeinsame zweijährige Odyssee quer durch die USA schildert er in einem Gefängnis, wo er nach dem Mord an seinem Nebenbuhler auf seinen Prozess wartet. Wie man sich denken kann, geht die Konstellation „älterer Mann begehrt Kindfrau“, wie im realen Leben meistens auch, in diesem Roman nicht gut aus.
Zunächst unglücklich verlaufende Liebesgeschichten können sich aber auch zum Guten wenden, etwa wenn konventionelle und individuelle Schranken überwunden werden, wie in Jane Austens Gesellschaftsstudie „Stolz und Vorurteil” aus dem Jahr 1813. In diesem Entwicklungsroman begegnen sich die anfangs durch falschen Stolz und Vorurteile geprägten Hauptfiguren Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy, die nach einigen Krisen ihre Einstellungen verändern und sich in neuer Bescheidenheit und Einsicht in ihre Fehler für eine gemeinsame Zukunft entscheiden. Und diesen Entschluss hoffentlich niemals bereuen mussten.