
„Die Bettwurst“ in der sparte4 mit Thorsten Köhler, Michi Wischniowski, Christiane Motter und Jan
Hutter (v. l.) © Saarländisches Staatstheater, Martin Kaufhold
von Burkhard Jellonnek
Der Nazi-Paragraph 175 war gerade erst gefallen, da drehte der schon damals bekennende Schwule Rosa von Praunheim seinen Skandalfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ und wurde zum Wegbereiter
der queeren Emanzipationsbewegung. Praunheim legte sofort nach: Sein zweiter Spielfilm „Die Bettwurst“ erlangte Kultstatus und festigte den Ruf des engagierten Filmemachers als Bürgerschreck bis auf den heutigen Tag. Sein Credo von der unbändigen Kraft der Liebe macht auch im norddeutschkühlen Kiel vor einer schwulen Tunte nicht halt, die sich aus ihrer kriminellen Vergangenheit durch eine bürgerliche Liebschaft mit der Heterofrau Luzi retten möchte. Zum Problem könnten da die erotischen Pflichten werden: Rosa von Praunheim hat vor einem guten Jahr den1971 ob seiner Laiendarsteller verstörendenFilm mit seiner Tante Luzi Kryn und dem aus der „Stricherszene“ gecasteten Dietmar Kracht um eine Musical-Fassung erweitert, die vor wenigen Monaten in Berlins
„Bar der Vernunft“ ihre umjubelte Uraufführung feierte. Nun also der 2. Aufschlag in Saarbrückens sparte4, inszeniert von Paul Spittler. Der machte den sparte4-Chef Thomas Köhler zu seinem Hauptdarsteller Dietmar, der alle Register zog und keine Anspielung auf seinen schwulen Hintergrund ausließ. Dennoch fuhr Christiane Motter als Luzi auf den Charme des stets Ostsee und Nordsee verwechselnden Schönlings ab und ließ Dietmar nach der Verlobung nicht mehr aus ihren Fängen. Thorsten Köhler gibt seinen
Dietmar nie als billige Parodie preis und Christiane Motter spielt die Luzi mit einem Hauch von Elisabeth Wiedemann-Unterton, herrlich! Und Michi Wischniowski, frisch gekürter Preisträger Schauspiel des von Detlef Thiery, Monique Bender und Prof. Peter Schweitzer geführten SponsorClubs des Saarländischen Staatstheaters macht seinen frischen Lorbeeren auch in dieser Aufführung alle Ehre: Der zur Spielzeit 2017/18 nach Saarbrücken engagierte Künstler brillierte auch in der Rolle des Bruno Mechelke in
Hauptmanns „Die Ratten“ und beeindruckte in der Titelrolle in der jüngsten „Hamlet“- Inszenierung. Dass die Mär vom heterosexuellen Traumpaar nicht aufgehen kann und zur frivolen Höllenfahrt wird, kostet Praunheim genüsslich aus, zumal der Chor mit Laura Trapp, Jan Hutter und Michi Wischniowski keine Anzüglichkeit oder Zote auslässt. a wird die Bettwurst längst nicht auf ihre Aufgabe als Nackenrolle reduziert, sondern fungiert als wahrhaft wandlungsfähiges Liebes-Spielzeug! Den mitreißenden Drive bekommt der Abend auch durch die Arrangements und Spielfreudigkeit der musikalischen Begleitung von Achim Schneider, Jochen Lauer und Cordula Hamacher, die die Schlager-Seeligkeit der 1970erund 80er-Jahre auferstehen und imbegeisterten Premieren-Applaus
münden lassen. Mit der Bettwursthat die sparte4 auch in dieser Spielzeit ihren Publikumsmagneten gefunden!
staatstheater.saarland
Nächste Termine: 5., 8., 21. und 28.10.