
Bring no clothes
Tanzstück von Caroline Finn
Von Magdalena Lambert
Wäre „Bring no clothes“ ein Gericht, so könnte es sich um Ragù alla Bolognese handeln, dessen Bestandteile durch stundenlanges Köcheln so konzentriert werden, sodass sie ab dem ersten Bissen alle Sinne betören und dabei ungeteilte Aufmerksamkeit fordern. Dasselbe gilt für Caroline Finns Bühnenwerk: Eine gute Stunde nur dauert die spannungsgeladene Aufführung, es handelt sich dabei um eine kondensierte und intensivierte Überarbeitung eines zweiteiligen Werks, das bereits 2024 an den Bühnen Bern gezeigt wurde und nun in der Alten Feuerwache Premiere gefeiert hat.
„Bring no clothes“ ist ein von Virginia Woolf bei Einladungsschreiben an die Blumsbury-Gruppe häufig verwendeter Satz, der allerdings nicht im wörtlichen Sinne von „Des Kaisers neue Kleider“ verstanden werden darf, sondern metaphorisch dafür steht, dass man sich nicht um Klei-dervorschriften kümmern sollte. In der Aufführung in der Alten Feuerwache haben die von Catherine Voeffray bereitgestellten Kostüme eine zentrale Funktion. Sie sind nicht, den Worten Woolfs entsprechend, „of greatest simplicity“, also von außerordentlicher Einfachheit, sondern dominieren zusammen mit der wechselhaften Musik und Beleuchtung die Stimmung – machen Kleider also doch Leute?
Das Spektakel beginnt bereits, sobald man sich auf seinem Sitzplatz eingefunden hat und erkennt, dass es sich bei der vermeintlichen Puppe im Schaufenster – Till Kuhnerts Bühnenbild beinhaltet mehrere Glaskästen, die Paralleluniversen gleich bespielt werden – um eine reale Tänzerin handelt. Dies ist nicht das einzige Überraschungsmoment; das Stück ist auf beste Weise verstörend und kreiert einen Sog im Wechselspiel verschiedener Polaritäten, die das Unvereinbare vereinen und dabei, ganz nebenbei, zentrale Lebensthemen bearbeiten: Illusion und Wirklichkeit, Aufblühen und Abschiednehmen, Kollektivität und Singularität, Geschlechtsidentität, Macht und Untergebenheit.
Den einzelnen, geschickt und teils skurril miteinander kombinierten Elementen geht eine hohe Symbolkraft einher. So untermalen an einer Stelle Cembalokadenzen, virtuose Jazzsaxophonsoli und Geräusche aus einer Schlacht simultan eine Szene, bei der samtige, bordeauxfarbene Reifröcke und Blümchenschlüpper an sich räkelnden Tänzerinnen die Hauptrolle spielen. An anderer Stelle fühlen sich tinnitusinduzierendes Dröhnen und neurotisches Zittern athletischer Körper wie ein Schlag ins Gesicht an, direkt im Anschluss wird man mit dem zweiten Satz von Mozarts C-Dur Konzert und einem erotischen Trio aus zwei Männern und einer Frau besänftigt, die umeinander werben und miteinander verschmelzen.
Unter diesen Eindrücken wurden die TänzerInnen von begeisterten Jubelrufen und lang anhaltendem Beifall am Ende noch zwei Mal vom Publikum auf die Bühne zurückgeholt – schwer zu sagen, auf wessen Seite das Glück mehr war: Auf derjenigen der TänzerInnen, die in Anbetracht ihrer exzellenten Leistung mit Schweißperlen im Gesicht vor Freude strahlten oder auf der der Zuschauenden, die dieses exzellente Stück erleben durften.