
Love Parade 1997 © Photo-Map Arne Müseler
Überlegungen zu der Frage: Was ist Spaß?
von Rainer Paris
Es ist schon eine Weile her, dass von der „Spaßgesellschaft“ die Rede war und sie im Fokus politischer oder kultureller Debatten stand. Finanzkrise, Corona und zuletzt der Krieg in der Ukraine haben die materiellen Bedingungen und den Ernst des Lebens wieder auf die Tagesordnung gesetzt – und doch scheint dies im übergreifenden Konsumwandel der letzten Jahrzehnte eher eine Unterbrechung als eine generelle Trendwende zu sein. Tatsächlich ist die Erlebnis- und Eventorientierung des Freizeitverhaltens ungebrochen, hat das Bedürfnis nach „außeralltäglichen“ Erfahrungen womöglich sogar zugenommen.
Spaß zu haben, ist ein Impuls von Kindern und Jugendlichen. Insofern ist die Rede von der „Spaßgesellschaft“ im Grunde nichts anderes als ein Synonym für die – fortschreitende? – Infantilisierung unserer Kultur. Was aber ist und wie funktioniert Spaß? Und woran liegt es, dass die Jagd nach dem Spaß für viele so aufreibend und ernüchternd ist?
Als selbstbestimmtes Freizeitvergnügen ist „Spaß haben“ zunächst das Gegenteil von Arbeit. Zwar gibt es die normative Erwartung, dass auch die Arbeit Spaß machen soll (und wo dies tatsächlich der Fall ist, ist sie außerordentlich befriedigend); trotzdem stehen die zentralen Relevanzen und Kriterien von Arbeit – körperliche oder geistige Anstrengung, Sachkonzentration, Ergebnisorientierung, zeitliche und räumliche Separierung von anderen Tätigkeitsfeldern – in striktem Gegensatz zu jenem fluiden, unmittelbar sinnlichen Erleben, das wir mit dem Begriff „Spaß“ verbinden.
Seinen originären Ort hat der Spaß im Handlungstypus des Spiels. Heinrich Popitz hat in seiner kleinen, systematischen Abhandlung „Was tun wir, wenn wir spielen?“ (in: Wege der Kreativität, Tübingen 1997) folgende Merkmale und Spannungsbalancen herausgearbeitet, die das Spaßerleben im Spiel ermöglichen: Wiederholung und Variation, freiwillige Regelgebundenheit, dialogische Struktur, Ungewissheit des Ausgangs und Selbstzweck. Zugleich manifestiert sich darin der Kontrast zur Arbeit: „Spielend bringen wir nichts Bleibendes hervor, weder ein Werk noch ein neues Wissen. Der ‚Ertrag‘ des Spiels erschöpft sich in der Erfahrung eines im Tun erfüllten Sinns. Wir setzen nichts Neues in die Welt und bekommen nichts Neues über die Welt heraus. Der Spielende hinterläßt kein Ergebnis, kein Produkt seines Tuns. Im Spiel ist der Mensch auf unproduktive Weise kreativ. Das ist die eigentümliche, die eigentümlich bezaubernde Dimension des Spielens: daß der Mensch unproduktiv kreativ sein kann.“
Gewiss ist der Spaß nicht ausschließlich an die Spielsituation gebunden. Ebenso wie wir jedem Handeln ein „spielerisches Element“ beimengen können, sind auch Spaß und Vergnügen nicht ausschließlich auf einzelne Situationen beschränkt. Trotzdem müssen bestimmte Voraussetzungen und Umstände gegeben sein, um ein solches Empfinden zu ermöglichen. Das Wichtigste: Es darf keine Gefahr drohen und wir dürfen keine Angst haben. Spaß und Angst schließen sich aus. Nur wo wir uns in Sicherheit wähnen, können wir uns dem Spaß überlassen und ihn, oftmals in Gesellschaft vieler anderer, auskosten und genießen.
Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis von Spaß und Geselligkeit auf. Grundsätzlich gilt: Spaß ist ansteckend und stiftet Gemeinschaft. Der Gleichklang des Erlebens schafft eine Verbundenheit, die zumeist allerdings auf die Situation beschränkt bleibt. Andererseits gibt es jedoch auch die Erfahrung des „Kontrasterlebnisses“ (Hermann Schmitz): Bleibt die Ansteckung aus, so können wir uns inmitten vieler ausgelassen Feiernder mitunter umso einsamer fühlen.
Auch der Spaß unterliegt so einer eigentümlichen Kontingenz. Manchmal „überfällt“ uns der Spaß aus einem bestimmten Anlass heraus, und in anderen Fällen, in denen wir eigentlich vergnügt sein müssten, bleibt das Empfinden aus. Dies ist die eigentliche Crux am Spaß: Er ist einer jener „Zustände, die wesentlich Nebenprodukt sind“ (Jon Elster). Spaß kann nicht gewollt werden, er stellt sich ein. Wir tun etwas, das uns Spaß macht: Der Spaß gesellt sich uns zu, er funktioniert gewissermaßen als Zugabe unseres Handelns. Dies nicht anzuerkennen und zu ignorieren, ist letztlich eine Methode, ihn abzutreiben oder zumindest zu schmälern: Wenn wir etwas tun, damit es uns Spaß macht, macht es uns weniger Spaß. Das Ergebnis ist oftmals eine Art Selbstzwang zum Spaß, eine Spirale der Steigerung, die am Ende ins Leere läuft: In dem Bestreben, durch die Erhöhung der Reize das Gefühl zu erzwingen, wird das Empfinden immer schaler und mündet schließlich in Selbstdestruktion. Es ist einfach das Gesetz des Schlaraffenlands: Dauerspaß langweilt.
Dies führt zurück zu den Aporien der „Spaßgesellschaft“. Sie ist nämlich im Grunde ungesellig und funktioniert als Motor der Individualisierung. Jeder will seinen Spaß, der ja mitunter durchaus rabiate Formen annimmt. Was dem einen Spaß macht, stört nicht selten den anderen. Und die Aufforderung, sich zu beschränken und zu mäßigen, findet jener oft gar nicht lustig!
Die adäquate Organisationsform der Spaßgesellschaft ist der „große Event“: das bis ins Detail geplante und durchorganisierte Massenspektakel (etwa beim Fußball oder in der Popmusik), das jedem Einzelnen die Gelegenheit gibt, daran teilzunehmen und dort seinen Spaß zu haben. Das Spaßversprechen ist hier ein jederzeit erreichbares kommerzielles Angebot – aber es ist eben nur ein Versprechen. Und ob sich das Vergnügen als authentisches Gefühl tatsächlich einstellt, ist stets eine empirische Frage.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um generelle Kulturkritik. Im Gegenteil: Rausch und Ritual sind Grundelemente des Lebens und der Vergesellschaftung, sie sind notwendige Kompensation und Entlastung von den Mühen des Alltags. Nur: Es gibt keinen Spaß „um seiner selbst willen“. Er ist stets angelagert an unser Tun und unsere Beziehung zu anderen. Insofern ginge es umgekehrt gerade darum, Spaß, ausgelassener Freude und Vergnügen wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und sie von ihren auferlegten – auch selbst auferlegten – Zwängen zu befreien.