
„#Peep“ – tolle Ensembleleistung im uraufgeführten Stück von Mona Sabaschus in der Alten Feuerwache © Saarländisches Staatstheater, Foto: Martin Kaufhold
von Burkhard Jellonnek
Kein Spielzeitstart-Start wie viele andere: Auf den ersten Aufschlag des neuen Schauspielchefs Christoph Mehler durfte man gespannt sein. Seine Bewerbungsinszenierungen hatte der 48-jährige Theatermann in Saarbrücken mit „Hexenjagd“ und „Dantons Tod“ bereits abgegeben und mit seiner Wucht und Leidenschaft die Abende zu Erlebnissen gemacht. Nun der US-Klassiker „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams. Zweifellos ein Mehler-Stoff über den unaufhaltsamen Niedergang der kultivierten Blanche, die nach dem Verlust von Eigenheim und Ehe buchstäblich die Abgründe als Prostituierte erlebt hat und nun bei ihrer Schwester Stella wärmende Zuflucht sucht. Mehlers vielfältiges Bildertheater lässt die alkoholverfallene Blanche in der heruntergekommenen, mit Plastikstühlen unwirtlich ausgestatteten Zweiraumwohnung Stellas nicht mehr zur Ruhe kommen. Stella selbst lebt in einer toxischen Beziehung zu dem Macho Stanley, den Fabian Gröver als grobschlächtiges Großmaul gibt, der all seine Kraft investiert, die in ihren Luxusklamotten verloren wirkende Blanche auf dem Boden der Realität aufklatschen zu lassen. Was auch gelingt, indem er den in Blanche verliebten Mitch (Gregor Trakis) mit ihrer Entlassung aus dem Schuldienst konfrontiert, nachdem sie sich mit einem 17-jährigen Schüler eingelassen hatte. Großes Theater, wie Mehler die Blanche von Verena Bukal in ihrer Verletzlichkeit zeigt. Ihre Sehnsucht nach einer rettenden Beziehung, auf Nähe, auf Zauber werden niedergemacht von Menschen, die sich am Versagen anderer berauschen. Auch Stella, einfühlend gespielt von Christiane Motter, kommt aus ihrer verhängnisvollen Beziehung zu Stanley nicht heraus und kann den Klinik-Absturz Blanches nicht verhindern. Ein grandioser Auftakt in die neue Spielzeit des neuen Schauspielchefs.
Und was passiert in der Alten Feuerwache? Nach Ladenschluss erwacht in der Spielwarenabteilung plötzlich das Leben, freilich eines auf der Kippe, denn einige der Spielsachen sind buchstäblich Ladenhüter, denen der Gang in die Müllpresse droht. Doch da sei das spielfreudige Ensemble vor, in der Verena Maria Bauer, Laura Trapp, Jan Hutter, Silvio Kretschmer, Michi Wischniowski und Lea Ostrowskiy sich in die ungewohnten Rollen als Spielzeuge begeben. Aber das macht nicht den Reiz des Abends aus, sondern das Lieder-Potpourri aus Popsongs der 1980er und 1990er Jahre. Der Kampf um den Kunden, der Schrei nach „Kauf mich!“ von den Toten Hosen oder der anmachende Blick um die Gunst der Kundschaft. Denn schließlich geht es ja nur um Marilyn Monroes Geständnis „I Wanna be loved by you“. Das darf dann auch für die Spielfiguren in prickelnder Erotik enden, wenn zur Freude des Publikums „Girls just want to have fun“ geträllert wird; auf höchstem musikalischem Niveau – Kompliment an das Schauspiel-Ensemble, das von den Musikern Jochen Lauer, Max Popp, Marc Sauer und Johannes Mitte kongenial bei über 60 Songs begleitet wird. Eine wilde Materialschlacht in beeindruckenden Kostümen und Masken, ausgestattet von Janin Lang, befeuert den kurzweiligen Abend, bei dem man sich Sorge um das drohende Müllpressen-Ende der Spielzeug-Stars macht. Doch wie sagten schon die Bremer Stadtmusikanten: etwas Besseres als den Tod findest Du überall. Musikalisch ausgedrückt: „Road to Nowhere“ (Talking Heads). Und es braucht keinen Propheten, um diesem Abend eine lange Lebensdauer vorherzusagen.