
„How long is too long for your dreams?”: Franziska Nast bei der Entmantelung der Säulen im Arp Museum © Helmut Reinelt
Kunst an der Schnittschnelle von Urban Art, Hip-Hop- und Tattoo-Kultur
von Petra Ochs
Fünf „R“ bringt Franziska Nast in ihrer Realität unter: „Rrrrreality“ ist die Schau der Hamburger Künstlerin im Arp Museum Bahnhof Rolandseck überschrieben – ein überwältigendes All-Over aus Papierarbeiten, Videos, Skulpturen und Mode an der Schnittschnelle von Urban Art, Hip-Hop- und Tattoo-Kultur. Im Arp Museum ist Nast keine Unbekannte – schon 2012 „tätowierte“ sie im Rahmen der Ausstellung „Die Eroberung der Wand“ zwei Säulen im Richard-Meier-Bau. Jetzt hat sie für ihre erste institutionelle Einzelausstellung die ansonsten verhüllten Säulen-Tattoos wieder freigelegt und stimmt das Kunstpublikum zudem mit einer großflächigen „Hochdruckreiniger-Zeichnung“ vor dem Museumsportal auf das ein, was sie im Innern des Musentempels erwartet. Und das ist vor allem eine großangelegte Rauminszenierung: Zeichnungen, Tätowierungen auf Haut, Papier und Kunststoff, Skulpturen, Fotografien, Videos, textile und keramische Werke sowie Upcycling-Mode ihrer Marke „Fack Fushion“ treffen hier aufeinander. Dazu noch Relikte performativer Aktionen. So etwa die aus lackierten Schallplatten zusammengesetzten Tanzflächen. Wandfüllend kommen vier dieser Tanzflächen bei der Arbeit „The Evil and the x on Burnerchrome” daher: 198 Schallplatten, die bei Tanzabenden von zahllosen Schuhtritten zertanzt, dabei „gelöscht“ und „neu bespielt“ wurden.

Der Sprache kommt im Werk von Franziska Nast eine besondere Bedeutung zu: Umgangssprache, Worterfindungen, Chatkonversationen, Musiktexte und sonstige Textfragmente formiert sie zu neuen subversiven Gebilden. Immer wieder finden sich auch Pflanzendarstellungen (wie die Palme als Sehnsuchtsmotiv) und auch Pflanzen selbst – so die unzähligen Grünlilien der Wandinstallation „One Mother“, die allesamt Ableger einer einzigen Mutterpflanze sind. Auf künstlerische Art lässt Nast auch Lianen aus Kunststoffplane zusammenwachsen, die bei der stetig wachsenden Installation „My favourite Ladies“ von der Decke baumeln. „Viele Pflanzen wandern mit mir mit“, erklärt die Künstlerin. Etwa ihre lange Zeit zu Ausstellungen mitgereiste Alokasie, der sie ein Denkmal gesetzt hat, indem sie ihre abgeworfenen Blätter in Bronze gießen ließ.

Im Kabinettraum der Ausstellungsetage wird‘s farbig: Franziska Nasts „Family Affairs“ leuchten in Pink – die dreiteilige Wandarbeit mit Videoinstallation gleicht mit der schier endlosen Abfolge von Fotos einer persönlichen Familienaufstellung. Als „Work in Progress“ lässt sich die Installation „Häkeln gegen Instasucht“ bezeichnen. „Die Arbeit wächst, das Häkeln hab‘ ich von meiner Oma gelernt“, erklärt die Künstlerin, die auch Designerin, Buchgestalterin, Schülerin des Hamburger Tattoo-Gurus Herbert Hoffmann und Mitgründerin des Kunstvereins St. Pauli in Hamburg ist. Das Treppenhaus nebenan haben die Ausstellungsmacher kurzerhand in einen „Fan-Shop“ umgewandelt, hier gibt’s von Franziska Nast gestaltete T-Shirts, Pullis und Schals. Im Glaskasten finden sich tätowierte Urnen aus Karton und Kork als vergänglichem Material. Das auf den Urnen dargestellte Motivgeflecht ist im direkten Austausch mit denen entstanden, die einmal in der Urne bestattet werden sollen. Das alles lässt sich bequem aus den riesigen, von der Künstlerin selbst im „Schwefelleber-Verfahren“ patinierten Sitzsäcken heraus bestaunen, die überall auf der Ausstellungsetage verteilt herumliegen. Sie dürfen „besessen“ werden – körperlich so nah kommt man der Kunst nur selten.
Ausstellung bis 17.09.