
Celine Lehnert, Inspiration und freie Bearbeitung nach „Der Radionist” von
Kurt Günther © Celine Lehnert
von Beate Kolodziej
Als Geburtstunde des Radios in Deutschland gilt der 29. Oktober 1923: An diesem Tag wurde im Vox- Haus an der Potsdamer Straße in Berlin die erste Rundfunksendung für den privaten Haushalt ausgestrahlt. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Radio zu einem Massenmedium, auch wenn der Besitz eines Radiogerätes teuer war und der Staat sowohl die Inhalte als auch die Technik regulierte.
Die Künstler der Neuen Sachlichkeit griffen das Thema sofort auf – und dies auf sehr unterschiedliche Art und Weise. So malte Kurt Günther 1927 sein Bild „Der Radionist“. Ein Mann in Anzug mit Krawatte hört in seinem Zimmer eine Radiosendung, offensichtlich eine Opernübertragung, denn er hält ein Textbuch zu Mozarts „Zauberflöte“ in seiner rechten Hand. Der Mann trägt Kopfhörer, die aus technischen Gründen für das Radiohören notwendig waren. Er raucht Zigarre und trinkt Wein. Nicht ohne Grund wird das Bild auch gern als „Kleinbürger am Radio“ betitelt. Schließlich zeigt es einen Mann aus bürgerlichem Umfeld – man könnte ihn als Spießer bezeichnen –, der in gutem Sonntagsanzug von zu Hause aus Opern hört und nicht nur der Musik lauscht, sondern sich zugleich deren Texte zu Gemüte führt. Weiß man jedoch, dass es sich bei dem Dargestellten um den Nachbarn des Künstlers handelt, der in einem Rollstuhl sitzt, erhält das Bild eine andere Note: Für ihn bedeutet das Radio einen Zugang zur sonst für ihn verschlossenen Außenwelt, einen Zugang insbesondere zur Kultur, an der er – wenn überhaupt – nur unter erschwerten Bedingungen teilhaben
kann.
Die Breitenwirkung des Radios in allen Gesellschaftsschichten schon in seinen frühen Jahren illustriert der „Radiohörer“ von Max Radler, gemalt im Jahr 1930. Radler hat eindeutig einen Arbeiter dargestellt. Mit einem einfachen Hemd bekleidet, sitzt er über einen Radioempfänger gebeugt an einem Tisch. Im Hintergrund sieht man durchs geöffneteFenster Dächer und den Schlot einer Fabrik. Radlers Protagonist macht sich während des Radiohörens Notizen, ein Bleistift und einige Blätter Papier liegen auf dem Tisch. Für die Kuratorinnen der Ausstellung „Radio-Aktivität“, die 2020 im Münchner Lehnbachhaus stattfand, gehört er in den Kreis der „Arbeiter-Radio-Bewegung“, die das Radio für möglichst viele Menschen zugänglich machen wollten. Denn nicht jeder konnte sich ein Radio leisten – und sollte sich wohl auch nicht jeder leisten können. Das Radio für zuhause musste man sich bei der Post urkundlich genehmigen lassen, und man musste – wie heute noch – eine Rundfunkgebühr zahlen. Kein Wunder also, dass viele ihren Radioempfänger selbst herstellten. Bauanleitungen gab es genug dafür und außerdem unzählige Radiobastelvereine, in denen den Menschen gezeigt wurde, wie es ging – und man letztlich illegal in den Genuss des Hörfunks kommen konnte.
Genau von dieser Subkultur handelt das Gemälde „Verblühender Frühling – Selbstbildnis als Radiobastler“ von Wilhelm Heise aus dem Jahr 1926. Unmengen von Schrauben und Drähten, verschiedene Teile, die für den Bau eines Radioempfängers notwendig sind, liegen verstreut auf dem Tisch des Bastlers. Verblühte Amaryllis und Kakteen, die typischen Pflanzen auf vielen Bildern
der Neuen Sachlichkeit, begrenzen nach hinten das Chaos auf dem Tisch. Heises Radiobastler blickt gedankenverloren aus dem Dachfenster, er ballt seine rechte Faust. Will uns der Maler damit andeuten, dass seine Figur frustriert ist, das Gewirr der technischen Teile nicht zusammenfügen kann? Scheitert er und kann somit nicht den neuesten Nachrichten und Unterhaltungsprogrammen
folgen?
Der Mann in Kurt Weinholds Gemälde „Mann mit Radio (Homo Sapiens)“ aus dem Jahr 1929 schließlich kann zweifellos dem Radioprogramm folgen. Doch warum hat er sich gänzlich seiner Kleidung entledigt und sitzt nun nackt, die Kopfhörer auf den Ohren und eine Zigarre rauchend auf einem Stuhl? Der Homo Sapiens des 20. Jahrhunderts, scheint Weinhold sagen zu wollen, mag mit sich seiner Technik die ganze Welt erschließen und auf revolutionäre Weise verändern. Aber er ist immer noch eine Kreatur unter anderen.