
© Foto Studio Rosefeldt Berlin
Mit „Julian Rosefeldt. When we are gone“ präsentiert Völklinger-Hütte-Generaldirektor Ralf Beil einen der großen Videokünstler unserer Zeit in einem atemberaubenden Parcours. Im Mittelpunkt der sieben gezeigten Arbeiten steht das bombastische „Euphoria“ als raumfüllende Videoinstallation auf 24 Bildschirmen. Die Betrachtenden sitzen oder stehen inmitten eines cineastischen Epos. Auf der Hauptleinwand diskutieren ein paar Obdachlose, zwischen Schiffsschrott und ausgemusterten Panzern über Fragen der Wirtschaftstheorie. Rosefeldt legt ihnen die Worte berühmter Ökonomen, Schriftsteller und Philosophen in den Mund. Ein Tiger läuft singend durch einen Supermarkt, eine Szene in einer Bank wird zum Tanzspektakel und ein Taxifahrer philosophiert über Werte im Kapitalismus.
In einem Rundumfries stehen die lebensgroß projizierten Sängerinnen und Sänger des Brooklyn Youth Chorus um die Besucherinnen und Besucher und heben immer wieder zum Gesang an, sind gleichsam Gewissen der Gesellschaft und mahnende Stimme der Vernunft. Darüber hängen fünf Bildschirme mit Schlagzeugern, die immer wieder zu rhythmische Stakkatos ansetzen. Im Takt von Fließbändern und Maschinen vertonen sie das Auf und Ab der Börsen. Es ist Rosefeldts Opus Magnum in einer Stunde und 54 Minuten.
Die Themen des in Berlin lebenden Münchners sind der Turbokapitalismus in seinen Auswüchsen, der Klimawandel und eine Gesellschaft zwischen Weltuntergang und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Rosefeldt zeigt auf, wie zerstörerisch unser Wirtschaftssystem ist, aber auch, wie verführerisch es sein kann. Es hält unsere Welt am Laufen und führt sie doch in den Untergang.
Die Ausstellung beginnt mit dem Schwarzweiß-Streifen „Deep Gold“, der auf die Situation in den 1920er Jahren anspielt und versucht, Parallelen zwischen damals und heute zu vermitteln. Ein verlassener Liebeskranker findet sich nach seinem Sprung aus dem Fenster in einem grotesk-surrealen Szenario im Berlin der 1920er Jahre wieder und begegnet dort einer Welt, in der Buñuels surrealistischer Film „L’Age d’Or“ mit dem aktuellen Zeitgeschehen verschmolzen scheint. Soldatinnen bewachen die Stadt, aus den Lautsprechern tönen die Namen von modernen Feministinnen und an den Wänden prangen Plakate mit dem Slogan „We are the 99 percent“, den die Occupy-Wall-Street-Bewegung 2011 prägte. Und in den Bars feiern die Menschen, als ob es kein Morgen gäbe. Der Untergang liegt in der Luft.
Im Nebenraum wagt Rosefeldt einen Blick in die Zukunft. Das Video „In the Land of Drought“ öffnet die Perspektive auf den Planeten Erde nach dem Menschen. Aus der Vogelperspektive werden Relikte kultureller und industrieller Hinterlassenschaften des Menschen gezeigt. Wissenschaftler in Schutzanzügen bevölkern die Szenerien. Sie scheinen auf den Planeten zurückgekehrt zu sein, um die Menschheitsgeschichte zu erforschen. In elegischen Bildern schwelgt Rosefeldt in der Erkenntnis, dass der Mensch mehr sein könnte, als er gerade darstellt.
Die Rosefeldt-Werkschau endet mit „Penumbra“ aus den Jahren 2019 bis 2022. In einer immer langsamer werdenden Kamerafahrt nähern wir uns einem fernen Planeten, der dem Ende entgegengeht. In verödeten Landschaften haben die Menschen Zuflucht in Oasen gefunden. Die Kamera findet in einer der Oasen eine Lichtung, auf der Menschen in einem rauschhaften Rave feiern – oder sich betäuben. In extremer Zeitlupe tanzen sie zu den Klängen von Schumanns Musiktheaterstück „Szenen aus Goethes Faust“. Es erinnert an das dekadente Feiern in „Deep Gold“.
Bülent Gündüz
www.voelklinger-huette.org